Frank Frenzels FRÖSI-Geschichten (2)

Frank Frenzel

FRÖSI - Menschen und Räume

Die Redaktion FRÖSI hatte ihren Sitz bekanntlich im Verlag Junge Welt in der Berliner Mauerstraße, und zwar im vierten Stockwerk.

Alle Räume gingen von einem schmalen Flur ab, der wiederum wie eine Art Wurmfortsatz vom Hauptflur abzweigte und als Sackgasse endete.

Das erste Zimmer war gleich links die Abteilung Korrespondenz. Es war ein großer quadratischer Raum, in dessen Mitte vier Schreibtische so gegeneinander standen, dass sie eine gemeinsame Oberfläche bildeten, also viel Platz boten für das Ausschütten von Postsäcken, was oftmals allerdings nicht ausreichte. Hinter einer nachträglich eingebauten Trennwand lagerten in Regalen Unmengen von Ordnern mit beantworteter und abgehefteter Leserpost, ausgewählte Zuschriften, Preise für Preisausschreiben sowie Bastelmaterialien und FRÖSI-Souvenirs in rauen Mengen. Mit Leben erfüllt wurde dieses Büro von Annette Schlegel, der Leiterin der Korrespondenz, und Heike Westphal, der Leserpost-Redakteurin. Beide - aber auch schon jede für sich - waren der Blickfang der Redaktion, vielleicht sogar des ganzen Verlages. Aber im Vordergrund stand natürlich ihre fleißige und engagierte Arbeit für das Heft.

Nach dem Frühstück brachten sie aus der Poststelle im ersten Stock die Leserpost mit nach oben, sortieren sie, werteten sie aus, beantworteten Anfragen, verschickten Preise und so weiter. Monatlich erstellten beide die Leserpost-Analyse, die Annette Schlegel in der jeweiligen Redaktionssitzung vorstellte.

Annette war in jedem Heft für die Leserpostseite "Meine starke Seite" zuständig, die sie gemeinsam mit dem Grafiker Andreas Strozyk gestaltete und Heike realisierte gemeinsam mit Matthias Werner (Redakteur der Fernsehsendung "bong") monatlich die FAN-POST, eine spezielle Seite zur FRÖSI-Aktion "Prominente & Talente".

Noch eine ältere Kollegin darf nicht unerwähnt bleiben: Charlotte Müller. Sie kam noch als hochbetagte Rentnerin - bis etwa zu ihrem 80. Lebensjahr - oft mehrmals in der Woche an ihren Schreibtisch in der Korrespondenz, um Annette und Heike vor allem beim Sortieren der Post zu helfen.

Schräg gegenüber der Korrespondenz war das Zimmer 417, das eigentlich gar kein Zimmer war, sondern - nach Aussagen einer älteren Reinigungskraft - eine ehemalige Damentoilette. Aus dem Boden an der Wand ragten noch mehrere Abflussrohre, die mit Beton verschlossen waren. Hier saßen der stellv. Chefredakteur Walter Stohr und ich. Im Zimmer standen zwei Schreibtische mit unzähligen Papierstapeln und sieben Kleiderschränke, also Schränke ohne Zwischenbretter, vom Boden bis zur Decke voll gepackt mit Papier. Fünf davon nutzte Walter und zwei ich. Ein kleiner Tisch mit vier Stühlen rundete die "geschmackvolle" Einrichtung ab.

Die Zimmertür stand immer offen. War sie doch mal zu, traute sich keiner rein. Bei Walter Stohr anzuklopfen war nicht ganz ungefährlich, denn die geschlossene Tür stand für "nur in wirklich dringenden Fällen anklopfen - aber in wirklich ganz, ganz dringenden…".

Im Nebenzimmer, dreimal so groß wie unseres, waren vier Redakteure untergebracht. Hier saßen Marita Kloss, Kunstwissenschaftlerin, zuständig für das "Bild des Monats", Kunst und Literatur, Manfred Heilmann, Musiklehrer, mit dem Aufgabengebiet Singen/Lieder sowie Hanna Buttler und Annegret Kobow, verantwortliche Redakteurinnen für Knobel-Knifflig, einem Rätselmagazin, das unter dem Dach von FRÖSI aller zwei Monate herausgegeben wurde.

Das Zimmer gegenüber war das Reich der Chefsekretärin Helga Wulff mit angeschlossenem Sitz des Chefredakteurs. Helga Wulff war die Seele der Redaktion und von Heft 1 bis zum Schluss dabei. Legendär ihre fehlerfreie Schreibgeschwindigkeit an der Maschine ebenso wie ihr sensationelles Gedächtnis und ihre Ordnung sowie ihre immer gesunde Gesichtsfarbe.

Durch Helgas Hände gingen alle Manuskripte und Druckvorlagen. Sie tippte jeden, wirklich jeden Text mit drei Durchschlägen ab, sie schrieb alle Briefe ab (außer die der Korrespondenz), erstellte gemeinsam mit Walter Stohr die monatlichen Honorarlisten, erledigte jede Honoraranweisung, führte die Ablage … und hatte immer gute Laune. Und manchmal Appetit auf ein Schnäpschen. Aber selten.

Das Zimmer von Chefredakteur Wilfried Weidner war nur durch das Sekretariat zugänglich und von Helga Wulff bestens abgeschirmt.

Wilfried war vor allem der Repräsentant von FRÖSI. An seinen Zimmerwänden hingen Fotos vom FRÖSI-Tanzturnier, seinem Steckenpferd sowie vom Zentralrat der FDJ verliehene Urkunden. An der Fensterseite des Büros stand sein Schreibtisch, davor ein langer Tisch mit je einem Stuhl für (fast) jeden Mitarbeiter. Waren wirklich mal alle da, mussten noch Stühle mit ins Zimmer gestellt werden.

Wilfried Weidner war immer korrekt gekleidet und stets sehr freundlich - das kann man wirklich nicht anders sagen.

Er liebte die Harmonie und die öffentliche Anerkennung. Bei großen Beratungen oder Festen eröffnete Wilfried Weidner stets mit 2, 3 Sätzen die Veranstaltung und übergab dann das Wort an Walter Stohr.

Weidners größte Stärke war es eigentlich, konzeptionelle Überlegungen in Sachen FRÖSI für die Pionierorganisation "Ernst Thälmann" zu formulieren und Walter Stohr oder ich begründeten ihm dann später, dass und wie unsere Veröffentlichungen genau in dieses Konzept passen.

Neben dem Sekretariat saßen die Gestalter Alexander Michallak und Vera Kruse. Der alte Michallak war, ebenso wie Helga Wulff, von Anfang an dabei. Mit Rechenscheibe, Schere und Klebstoff löste er jedes Gestaltungsproblem. Alex war gebürtig irgendwo in den ehemaligen deutschen Gebieten und wahrscheinlich Heimatvertriebener. Darüber haben wir aber nie gesprochen. Überhaupt war das Sprechen mit Alex sehr kompliziert, denn er war oft einfach schwer zu verstehen.

In seinem Schreibtisch stand immer eine Pulle Schnaps, morgens voll, abends leer. Das heißt, abends war er überhaupt nicht mehr zu verstehen. Das lag immer am heißen Kaffee. Brachte ihm Helga Wulff ein Tässchen, nippte er daran, stellte fest, dass der Kaffee viel zu heiß ist und verdünnte ihn erst einmal. Das machte er so lange, bis der Kaffee maximal noch lauwarm war. Deshalb bekam er immer nur halbvolle Tassen…

Alexander Michallak starb Ende der siebziger Jahre und hat das Erscheinungsbild von FRÖSI geprägt wie kein anderer. Und wenn man es ganz genau nimmt, hat Alex Jürgen Günther sowohl auf die Idee mit dem Affen Otto gebracht als ihm auch vorgeschlagen, ihn in einen Eimer mit grüner Farbe fallen zu lassen, die einfach nicht mehr abgeht… Walter Stohr und ich waren dabei.

Nach seinem Tod übernahm Vera Kruse die gesamte Gestaltung, war damit allerdings rein arbeitsmäßig überfordert. Wir stellten ihr Jürgen Schumacher an die Seite, der freiberuflich für FRÖSI arbeitete und in den 80er Jahren viele gestalterische Akzente setzte.

Gegenüber der Gestaltung war schließlich ein weiterer Büroraum. Hier arbeiteten Christine Meier als Redaktionssekretärin, wobei sie selber nicht wusste, was sie in dieser Funktion tun sollte, aber Wilfried Weidner liebte Funktionen, hier saß Ralf Kegel als Chefreporter (siehe Christine Meier), Lotti Simon als freie Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit kam gelegentlich vorbei und Annerose Zehmisch sowie Aenne Riesenberg kümmerten sich um den Bereich Pionierleben in FRÖSI.

Christine Meier war ursprünglich Leiterin der Korrespondenz. Nach abgeschlossenem Studium der Gesellschaftswissenschaften musste eine Funktion für sie her, doch dass sie damit glücklich wurde, glaube ich nicht.

Annerose Zehmisch kam direkt aus dem Umfeld der Pioniervorsitzenden Helga Laabs in unsere Redaktion. Sie hatte dort als so eine Art persönliche Referentin gearbeitet. Und warum sie wirklich zu FRÖSI kam, blieb mir verborgen. Überhaupt waren mir die Leute in diesem Zimmer suspekt - und ich ihnen wohl auch. Ausnehmen davon muss ich allerdings Aenne Riesenberg. Sie war oft sehr unglücklich mit ihrem unmittelbaren kollegialen Umfeld und weinte sich dann bei Walter Stohr und mir aus.

Eine Kollegin möchte ich aber unbedingt noch nennen: Doris Möricke. Auch sie saß in diesem Zimmer, bis sie einen jungen Schriftsteller heiratete und mit ihm gen Norden zog. Doris hat mir sehr geholfen, als ich vom Disponenten zum technischen Redakteur wurde. Sie hat mir die redaktionellen Abläufe erklärt, meine Texte gelesen, bevor ich sie Walter Stohr gab und manchen guten Tipp gegeben für die redaktionelle Arbeit überhaupt.


Die FRÖSI-Disko

Während eines Russisch-Intensiv-Lehrgangs, den ich in Vorbereitung auf ein eventuelles Journalistik-Studium absolvieren musste, lernte ich Lutz Daase kennen. Er arbeitete im Kombinat Robotron und bereitete sich auf einen längeren Arbeitseinsatz in Algerien vor.

Wir verstanden uns gut, waren beide jung verheiratet und Väter von je zwei gleichaltrigen Kindern. Und wir hörten gern Musik. So trafen wir uns des Öfteren, um die neuesten Hits per Tonbandgerät auszutauschen.

Die Redaktion FRÖSI wurde oft zu Schulfesten oder anderen Veranstaltungen eingeladen, wo wir dann mit Bastelständen oder Wissensstrassen vertreten waren. Und irgendwann kam mir die Idee, dass es doch toll wäre, wenn wir auch Musik und ein Mikrofon dabei hätten. Ich besprach die Sache mit Lutz und dann mit Walter Stohr, und die FRÖSI-DISKO war praktisch geboren. Über die Redaktion kauften wir zwei Kassettenrekorder, ein kleines Mischpult, ein Mirkofon und Kassetten, Lutz schleppte anfangs seine privaten Boxen und seinen Verstärker mit.

Tagelang stellten wir Kassetten zusammen, Lutz bastelte Lichtschläuche aus Autolampen, die er bunt anstrich und ich dachte mir kleine Spiele aus. Lutz Daase war der Techniker und ich der Moderator.

Fortan gab es keine FRÖSI-Veranstaltung mehr ohne eigene Disko. Bald waren wir ein perfekt eingespieltes Team - Musik und Moderation klappten auf den Punkt, und wir stellten uns immer größeren Herausforderungen. Besonders die unglaubliche Entwicklung der Emmy-Aktion beförderte auch die FRÖSI-Disko.

Für jeden Einsatz von Lutz Daase musste Walter Stohr schriftlich eine Freistellung im Kombinat Robotron beantragen. Aus seinem Auslandseinsatz war zwar nichts geworden - aus meinem Journalistik-Studium übrigens auch nicht - aber als Spezialist für Bildverarbeitungsanlagen und Service-Ingenieur hatte er dennoch eigentlich reichlich zu tun.

Immerhin brachte es die FRÖSI-Disko auf rund 150 Einsätze im Jahr. Das ließ sich für Lutz mit der Arbeit bei Robotron einfach nicht mehr vereinbaren. Manfred Rucht, Verlagsdirektor, schrieb einen Brief an den Generaldirektor von Robotron, und der stimmte schließlich einem Wechsel in den Verlag Junge Welt zu. Und Lutz Daase erhielt einen Arbeitsvertrag als Leiter der EDV, die es im Verlag aber noch gar nicht gab. Er sollte sie aufbauen, was er auch tat.

Zunächst im Bekanntenkreis und dann zu immer größeren Anlässen gestaltete die FRÖSI-Disko auch zahlreiche Veranstaltungen für Erwachsene.

Technisch ging es ebenfalls voran. Wir besorgten uns einen AIWA-Verstärker, die Redaktion schaffte größere Boxen an, zunächst aus Klingenberg und dann "original" Nachgebaute von Zeck aus dem Westen und auf Stativen. Damit konnten wir technisch mit den populärsten Diskos in der DDR mithalten. Allerdings gab es ein Problem: Die FRÖSI-Disko hatte keine staatliche Spielerlaubnis, wurde also illegal betrieben. Dennoch hatten wir Auftritte im Fernsehen der DDR, im Palast der Republik, im Kulturpalast Dresden, in Gera, Karl-Marx-Stadt - von Nord bis Süd und kreuz und quer…

Mehrfach gab es Anzeigen von "Disko-Kollegen". Die landeten stets beim Vorsitzenden der Pionierorganisation Wilfried Poßner und der teilte uns dann immer mit: Wer etwas gegen die FRÖSI-Disko hat, der soll sich bitte an den Zentralrat der FDJ wenden…

Waren wir nun privilegiert? Ich kann die Frage nicht beantworten. Ich kann nur sagen, dass wir pro Veranstaltung 250 Mark bekamen, das waren 125 für jeden. Bei Großveranstaltungen war es allerdings mehr. Da spielten wir dann zusammen schon mal 1000 Mark ein. Allerdings moderierte ich dann auch eine dreistündige Veranstaltung mit vielen Künstlern, wir übernahmen die Musikeinspiele für Artisten, führten Interviews und unterhielten mit Spielrunden 3.000 Gäste und mehr.

Mein größtes Aha-Erlebnis war die Mitwirkung bei "Rock für den Frieden" in der Werner-Seelenbinder-Halle. Da unsere Technik für solche Veranstaltungen natürlich nicht ausreichte, wurden wir an die Anlage der Rockgruppe Berluc angeschlossen. Von der Hallendecke kam ein dünnes Kabel mit Stecker herunter. Lutz steckte es in unser mickriges Mischpult und der Berluc-Techniker rief: Gebt mal ein Signal!

Lutz spielte einen Song von Jean Michelle Jarre ein und unsere Musik dröhnte durch die Halle in einer Lautstärke, dass ich meinen Techniker nicht mehr verstehen konnte.

Richtig enge Kontakte gab es zwischen der FRÖSI-Disko und der Rockband Karussell. Wir lernten uns kennen bei einer Emmy-Veranstaltung, und ich war begeistert, wie der Sänger Dirk Michaelis auf die Kinder einging. So zog er sich beispielsweise eine Art Overall über, in den viele Kontakte eingebaut waren, die wiederum zu einem Effektgerät führten. Jetzt konnten die Kinder mit der flachen Hand auf ihm "herumtrommeln".


Die Pressefreiheit oder -unfreiheit bei FRÖSI

Ich kann mir vorstellen, dass dieser Beitrag unter den Lesern vielleicht eine intensive Diskussion auslöst, aber ich schreibe hier aus meiner Sicht und aus meiner Erinnerung und aus dem Wissen, das ich in den Jahren nach der Wende angesammelt habe.

Auch in der DDR-Kinderpresse galt das so genannte "Chefredakteurprinzip" - es wird nur gedruckt, was der Chefredakteur abnickt. So ist das übrigens auch heute bei allen Zeitschriften und Zeitungen … das letzte Wort hat immer der Chefredakteur.

Natürlich war uns als FRÖSI-Redakteuren klar, dass wir nur im Sinne der Beschlüsse und Vorgaben der SED, der FDJ bzw. Pionierorganisation "Ernst Thälmann" unserer journalistischen Arbeit nachgingen.

Viele Beschränkungen erlegten wir uns aber auch selbst auf. Bei Betriebsreportagen z.B. achteten wir darauf, dass Firmenkennzeichnungen von Importmaschinen nicht zu erkennen waren bzw. nachträglich retuschiert wurden. Besonders hässliche Ecken auf Fotos wurden z.B. mit Mäxchen- und Tüte-Figuren verdeckt.

Ich kann mich erinnern an eine Reportage über den Zustand von Spielplätzen in Berlin. Wir fotografierten ganz besonders schöne aber auch solche, die sich in einem erbärmlichen Zustand befanden. Bis zum Erscheinen dieser FRÖSI-Ausgabe und noch Tage danach plagte mich das schlechte Gewissen, ob ich eventuell mit der Darstellung und textlichen Bestandsaufnahme zu weit gegangen sein könnte…

Einmal monatlich versammelten sich alle Chefredakteure der Kinderpresse in der Abteilung Junge Pioniere im Zentralrat der FDJ. Dort wurde dann die große politische Linie vorgegeben, z.B. Informationen zum Pionierauftrag, zu bevorstehenden Großveranstaltungen oder Jubiläen. Die Umsetzung dieser Themen blieb dann jeder Redaktion überlassen.

Natürlich gab es auch die unsäglichen Informationen aus der Abteilung "Agitation und Propaganda" beim ZK der SED über die Verwendung von Begriffen, wie z.B. "Jahresendflügelfigur" statt "Engel". Solcherlei kindische Regelungen umgingen wir dadurch, dass wir auf entsprechende Dinge gänzlich verzichteten.

Als in der DDR geborener, aufgewachsener und arbeitender Mensch hatte ich mit solchen Einschränkungen aber insgesamt keinerlei Probleme.

Ich wusste und erlebte es täglich, dass unsere Arbeit den Kindern sehr viel Freude machte.

Nun kann man natürlich die Kinderpresse nicht zum Maßstab der Pressefreiheit (oder -unfreiheit) in der DDR heranziehen, und ich wusste auch, dass andere Redaktionen ganz andere Probleme hatten, aber mich selbst hat das eigentlich in meiner Arbeit nicht belastet.

Es war eben normal, dass man im Dienstwagen das Radio nach Ende der Fahrt vom "Sender freies Berlin" wieder auf "DT 64" drehte, und wenn man das mal vergessen hatte, konnte es passieren, dass der Fahrdienstleiter ein paar Tage später sagte: Frank, Pit Schulze (Chefredakteur von technikus) wollte wissen, wer das Auto vor ihm hatte - ich hab ihm gesagt, es war in der Waschhalle. Denk' das nächste Mal ans Radio.

Während einer Dienstreise nach Budapest hatte ich das erste Mal in meinem Leben eine BILD-Zeitung in der Hand. Ich las die Schlagzeile auf Seite 1 "Dicke Frau an Schnitzel erstickt!", und ich dachte: Oh Gott, was ist das? Wer liest denn so was?

Im Bereich Bildstelle/Archiv im Verlag Junge Welt waren bestimmte Titel der Westpresse verfügbar. Man konnte dort aber nicht hingehen und die Zeitschriften einfach durchblättern, das ging nur über den Chefredakteur. Jede beabsichtigte "Presseschau" musste begründet und mit Titel, Heftnummer und wenn möglich Seitenzahl benannt werden. In den 15 Jahren meiner Tätigkeit als FRÖSI-Redakteur gelang es mir einmal, Einsicht in verschiedene BRAVO-Ausgaben zu erhalten. Das war 1989, ich bereitete einen Beitrag über Rio Reiser vor und die Kolleginnen im Archiv hatten mir diesbezüglich einige Artikel herausgesucht.

Die Überschrift "König von Deutschland" erschien in schwarz - rot - gold (ohne Emblem) - das war für mich Pressefreiheit in FRÖSI.

Überhaupt war ich begeistert, wie kritisch und gleichzeitig seriös plötzlich alle Zeitungen und Zeitschriften der DDR sowie die Rundfunk- und Fernsehmagazine oder Nachrichten ihre Arbeit leisteten. Ich hatte mir damals sehr gewünscht, dass vieles davon geblieben wäre…

Und ich stelle mir seitdem die Frage: Heißt Pressefreiheit, dass jeder schreiben und senden kann, was er gerade denkt, schreiben und senden zu müssen? Ist es Pressefreiheit, dass BILD jede Menge wild gewordene "Leserreporter" auf die Menschheit loslassen kann?

Zum Abschluss dieses Kapitels sei mir noch eine kleine Geschichte gestattet, die ich so erlebt habe, und zwar während meiner Zeit als Moderator der FRÖSI-Disko. Kennzeichen D, ein Politmagazin im ZDF, hatte im Zentralrat der FDJ eine Drehgenehmigung für ein Pionierfest beantragt. Ich erhielt eine Anfrage, wann wir wo die nächste größere Veranstaltung haben. Wenn ich mich recht entsinne, war es in Weißwasser. Eine Schule hatte ein Emmy-Fest bei FRÖSI gewonnen und wollte aus Termingründen am Vormittag die Freundschaftsratswahl durchführen und am späten Nachmittag - quasi als Höhepunkt des Tages - ein rauschendes Fest feiern.

Wegen der politischen Brisanz waren mein Techniker und ich bereits einen Tag vorher angereist so wie auch das ZDF-Team und diverse Mitarbeiter des Zentralrates der FDJ sowie wahrscheinlich auch anderer Organe…

Obwohl die Drehgenehmigung sich auf den Nachmittag beschränkte, wollten die ZDF-Kollegen unbedingt schon die Freundschaftsratswahl am Vormittag mitdrehen. Ich verwies sie an die Mitarbeiter des Zentralrates der FDJ, die diskutierten eine Weile, telefonierten und sagten schließlich o.k.

Also wurde den ganzen Tag gedreht: Einmarsch der Fahne, Pioniergruß, Gelöbnis und was sonst noch alles zu einer Freundschaftsratswahl dazu gehörte. Die Kinder gingen anschließend nach Hause, zogen sich um und kamen später zur großen FRÖSI-Disko wieder an den Veranstaltungsort. Natürlich achteten wir peinlichst auf die Einhaltung der 60:40-Regel bei der Auswahl der Musiktitel.

Im ZDF lief dann einige Tage später der Beitrag. Und der ging ungefähr so: Das angekündigte FRÖSI-Pionierfest begann mit dem Einmarsch der Fahne, es folgte ein Gelöbnis, gesprochen von der Freundschaftsratsvorsitzenden und dann ging die Disko los. Natürlich kam sie nicht ohne die offiziell verpönte Westmusik aus (im Hintergrund lief ein Titel von Nena, ich glaube "99 Luftballons").

Aha, das war also die Pressefreiheit im kalten Krieg im Westen…


Mit Emmy durch den Wald

Unser SERO-Kollege Heinz Klensky, Chef der Öffentlichkeitsarbeit im Kombinat, hatte in einer norddeutschen Lokalzeitung gelesen, dass die Elefanten des Rostocker Zoos zweimal im Jahr zum Wiegen in den örtlichen Betriebsteil gebracht werden, um das Gewicht der Tiere mit Hilfe der LKW-Waage zu ermitteln.

Wir riefen im Zoo an und fragten, ob es möglich wäre, zum nächsten Termin mit einem Fotografen nach Rostock zu kommen, ob wir die Elefanten eventuell "verkleiden" dürften und auch Kinder mit auf den SERO-Hof bringen könnten.

Alles kein Problem. So erfolgte der Aufruf in FRÖSI, dass unter allen Pioniergruppen, die innerhalb eines Monats mehr Altpapier sammeln als ein Elefant wiegt, mehrere Fototermine mit Emmy verlost werden.

Wieder wurden wir mit Post zugeschüttet, zogen 10 Gewinner und reisten also mit rund 250 Kindern nach Rostock. Das war eine logistische Herausforderung.

Unsere Korrespondenz wälzte Fahrpläne, um An- und Abreisezeiten für die Gruppen mit den Fototerminen zu koordinieren, einen Busshuttle zwischen Bahnhof und SERO-Gelände zu organisieren, verschickte Sammelfahrscheine an die 10 Gruppen sowie einen Ablaufplan für die Veranstaltung. Die Kosten für diese Aktion trug wie immer das Kombinat SERO. Außerdem lies Heinz Klensky 3 große rote Umhänge für die Elefanten schneidern.

Und Verpflegungsbeutel mussten wir auch noch aus Berlin mitbringen. Für Olaf und das Kantinen-Team im Verlag Junge Welt kein Problem…

Einen Tag vor dem Emmy-Spektakel lud ich morgens die Verpflegungstüten sowie meine Kollegin Annette Schlegel in den Wartburg Tourist und los ging die Reise. Wir bezogen in irgendeinem Wohnheim Quartier und besprachen dann noch einmal - am Abend - das morgige Programm. Annette plagte der Hunger, und sie holte sich eine Verpflegungstüte aus dem Auto.

Die Katastrophe: Das Brot war angeschimmelt. Wir liefen zum Auto und prüften weitere Beutel - überall das gleiche Problem … und am nächsten Morgen kamen die Kinder…

Während der Anfahrt zu unserem Quartier war mir ganz in der Nähe eine Großbäckerei aufgefallen. Dahin fuhren wir, und tatsächlich arbeitete dort die Spätschicht. Wir schilderten unser Problem und bekamen 12 Brote zum "Nulltarif". Das neue Problem: Man konnte uns die Brote nur im Stück geben, also nicht in Scheiben geschnitten. Annette schlug vor, dass wir in ein Hotel fahren und dort in der Küche um Hilfe bitten.

Gesagt, getan. An der Rezeption guckte man uns ungläubig an als wir nach einem Brotmesser fragten, aber man holte einen Koch. Der erklärte uns, dass wir aus hygienischen Gründen nicht in die Küche dürfen und er selbst auch keine Zeit hat, um die Brote an der Maschine zu schneiden, aber ein großes Messer und ein Brett könne er uns leihen… und auch frisches Butterbrotpapier.

Tja, und so verbrachten Annette und ich die Nacht mit Brotschneiden, einwickeln und austauschen.

Am nächsten Morgen reiste zunächst unser Fotograf Werner Popp an und dann kamen die Kinder … und die Elefanten! Drei verkleidete "Emmy's" liefen durch das Waldstück zwischen Rostocker Zoo und dem SERO-Gelände. Und dann stieg Werner Popp auf eine Stehleiter und anschließend die Foto-Party. Es war irre: Die Kinder mit Lehrerin oder Lehrer wurden klassenweise und aus verschiedenen Perspektiven gemeinsam mit einem roten Elefanten abgelichtet - für alle unvergesslich.

Woran (zumindest) wir nicht gedacht hatten: Das Foto-Spektakel zog sich über mehrere Stunden hin. Und ab und an müssen auch Elefanten Wasser lassen… Und da wird nicht gepieselt - da geht praktisch ein Hydrant auf. Wenn diese Flüssigkeitsmenge auf Beton trifft, dann kommt praktisch niemand ungeschoren davon … was besonders bei den Lehrerinnen "unheimlich gut" ankam.

Nach jedem Klassenfoto verteilten wir die Verpflegungsbeutel und wünschten der jeweiligen Klasse eine gute Heimfahrt.

Gegen 15 Uhr war alles vorbei, wir brachten Messer und Brett wieder ins Hotel und fuhren gen Berlin.

Jede Klasse erhielt einen Klassensatz Fotos im Format 13 mal 18 cm, und einige der Bilder druckten wir auch im Heft ab.

Von allen Klassen, wirklich von allen, erhielten wir ein, zwei Wochen später Post mit einem dicken Dankeschön für dieses einmalige Erlebnis.


Unterwegs im Freundschaftszug

Meine erste große Dienstreise als FRÖSI-Mitarbeiter führte mich in den Sommerferien 1977 für fünf Wochen per Freundschaftszug in die Sowjetunion, genauer gesagt ans Asowsche Meer. Vor mir lagen 74 Stunden Bahnfahrt und in jeder Hinsicht erlebnisreiche Tage.

Meine Aufgabe bestand darin, den Pionieren bei der Gestaltung ihrer Tagebücher zu helfen … eine leichte Aufgabe, wie ich schon bald merkte, denn die Jungen und Mädchen schrieben und malten was das Zeug hielt aus eigenem Antrieb. Sie brauchten mich nicht, und so freute ich mich auf Entspannung und Erholung.

Vom Bahnhof irgendwo im riesigen Sowjetreich ging es mit rund 60 Reisebussen in nochmals stundenlanger Fahrt durch endlose Sonnenblumenfelder zum Zentralen Pionier- und Freundschaftslager direkt am Meer. Wir hatten nicht einen Ort passiert, und mir war klar, dass wir irgendwo im Nirwana angekommen waren.

Das Lager bestand aus zahllosen Baracken voller Doppelstockbetten, umgeben von einer traumhaften Fauna und Flora, kräftigem Grün und Blüten, wie ich sie bis dahin noch nie gesehen hatte. Kinder aus aller Welt machten dort gemeinsam mit uns Ferien, direkt am Strand und bei herrlichstem Wetter.

Die erwachsenen Begleiter, Pionierleiter/innen und Erzieher/innen bezogen ihre Schlafplätze in den Unterkünften der Kinder.

Der Tagesablauf war so (und zwar vier Wochen lang): 8 Uhr wecken, dann Frühsport und Frühstück, Fahnenappell, ausrücken in Gruppen zum Baden oder Spielen, 13 Uhr Mittagessen, bis 15 Uhr Mittagsruhe, Vesper, Baden oder Spielen, 18 Uhr Abendessen, bis 20.30 Uhr Disko und 21 Uhr Nachtruhe für die Kinder. Und dann: Jeden (!) Abend ein Empfang für die Erwachsenen. Mal lud der Lagerleiter ein, dann der Parteisekretär, der 1. Sekretär des Gebietskomsomol, der Generaldirektor des Kombinates, dem das Ferienlager gehörte, der Bürgermeister, der Kreissekretär… jeden Abend, vier Wochen lang!!! Die Empfänge endeten in der Regel so zwischen 3 und 4 Uhr am nächsten Morgen. Kurze Nachtruhe also für uns…

Und jeden Abend waren die Tische brechend voll mit Essen und Wodka… Nun habe ich im Leben noch nie Wodka getrunken, bis heute nicht, also auch nicht am Asowschen Meer. Ich bin halt Biertrinker, aber das Bier in diesem Ferienlager war ungenießbar, jedenfalls für mich.

So stieß ich also mit Wasser auf die Freundschaft an, auf die Liebe, auf das Leben, auf den Frieden und auf was auch immer…

Der Schlafentzug führte jedenfalls bei mir dazu, dass ich nach fünf oder sechs Nächten beim nachmittäglichen Tischtennisspiel an der Platte einfach umfiel und nicht mehr wach wurde - erst in der Krankenstation des Ferienlagers. Per Dolmetscher schilderte ich meinen Schlafentzug, klappte danach die Augen zu und schlief zwei Tage lang durch… So entging mir fast eine Beinahe-Katastrophe, von der besonders die deutschen Kinder betroffen waren.

Im Lager gab es so genannte französische Toiletten. Da ist im Boden ein Loch, rechts und links daneben befindet sich je ein Fußabdruck im Beton und an der Wand gibt es zwei Haltegriffe. In der Hocke erledigt man sein Geschäft und das Toilettenpapier wirft man nach getaner Arbeit in einen Papierkorb. Man benutzt diese Toiletten wirklich nur, wenn es gar nicht mehr anders geht.

In den Papierkörben waren tausende grün schillernde Fliegen…

Und direkt neben dem Sanitärtrakt war die Küche errichtet, wo eigentlich jeden Tag Hackbraten in irgendeiner Form zubereitet wurde. Tja, und wenn dann an den Tischen im Speisesaal der Hackbraten in Scheiben geschnitten wurde, dann befand sich in jeder zweiten oder dritten Scheibe eine grüne Fliege … und das waren unsere Kinder wohl nicht gewöhnt… Rund 70 Kinder wurden sehr krank und mussten irgendwohin ins Krankenhaus gebracht werden. Mit mehreren Militär-Hubschraubern wurden sie abtransportiert und in Bussen kamen sie alle einige Tage später gesund und munter wieder zurück.

Nach diesem Vorfall wurden die Toiletten jede Nacht ausgesprüht, alle Fenster der Küche und die Türen erhielten Gaze-Verkleidungen, klebrige Fliegenfänger hingen dicht an dicht im Küchentrakt und Menschen in langen weißen Kitteln wuselten ständig in der Küche herum, kontrollierten die Hygiene und nahmen Essensproben.

Von da an gab es auch keine Fliegen mehr im Essen…

Ein großes Problem blieb dennoch: Die Kinder und auch die Betreuer wollten natürlich irgendetwas als Andenken bzw. als Geschenk mit nach Hause nehmen. Im Ferienlager gab es lediglich einige Kioske mit Süßigkeiten und Getränken, sonst keine Geschäfte. Und die nächste Ortschaft oder Stadt war zig Kilometer entfernt.

Wir sprachen die Lagerleitung auf dieses Problem an und man vertröstete uns immer wieder damit, dass wir noch so viel einkaufen können, wie wir wollen. Wo sollte das bloß sein?

Der Tag der Abreise kam, und unsere 60 Reisbusse standen wieder parat, dazu mehrere Funkwagen, die unseren Konvoi mit Blaulicht begleiteten. Wieder ging es stundenlang durch Sonnenblumenfelder in die Stadt, wo unser Sonderzug bereit gestellt war. Aber wir fuhren nicht zum Bahnhof, sondern zum Kaufhaus. Dort stand ein Lautsprecherwagen, der die Kunden des Kaufhauses aufforderte, das Gebäude sofort zu verlassen, weil jetzt eine Delegation aus der DDR das Kaufhaus besuchen wird. Und tatsächlich, nach wenigen Minuten war das Haus geräumt. Ein Dolmetscher im Lautsprecherwagen erklärte, dass ab sofort alle Bereiche nur für uns geöffnet sind, dass in jeder Abteilung ein Dolmetscher als Ansprechpartner bereit steht und wir nun drei Stunden lang Zeit haben, unser Geld auszugeben. Was wir auch taten.

Mit vollen Taschen und Beuteln traf sich die Truppe pünktlich (viele schon eher) in den Bussen und der Freundschaftszug konnte pünktlich die Rückfahrt antreten.

Eines muss ich noch anfügen. Die Kinder hatten in der Sowjetunion einen ganz hohen Stellenwert, und ich habe es immer wieder erlebt, dass dort alles getan wurde, um Schaden von ihnen abzuwenden bzw. ihnen jeden Wunsch zu erfüllen, der erfüllbar war.


Gera - Berlin mit Zwischenstopp

Es war im November 1987. Im Kulturhaus Gera hatten wir ein mehrtägiges FRÖSI-Fest absolviert und am frühen Abend, als die Autos beladen waren, machten wir uns auf den Rückweg. Heinz Klensky hatte die Emmy-Materialien im B 1000 des Kombinates SERO verstaut, Lutz Daase begab sich mit der FRÖSI-Disko-Technik im Wartburg Kombi auf Tour und zu mir in die Wartburg Limousine stiegen der Grafiker Horst Alisch und meine Kollegin Annette Schlegel. In unserem Auto herrschte gute Stimmung, denn die Veranstaltungen waren super gelaufen und wir freuten uns auf zu Hause. Rund vier Stunden Autofahrt lagen vor uns. Langsam wurde es dunkel und es begann zu schneien - bei Temperaturen um den Gefrierpunkt Matschwetter total.

Von Gera ging die Fahrt zum Hermsdorfer Kreuz und dann auf die A 9 Richtung Berlin. Das Wetter wurde immer scheußlicher. Horst Alisch unterhielt Annette und mich mit Geschichten aus seinem Leben (da hatte er einen grenzenlosen Vorrat), die anderen beiden Autos waren längst aus unserem Gesichtsfeld verschwunden.

Wir passierten die Ausfahrten Eisenberg … Weißenfels … rund 10 Kilometer vor der Ausfahrt Leipzig Süd gab es einen Knall und einen Ruck im Motor, ich trat instinktiv sofort die Kupplung und rollte soweit nach rechts wie es irgend ging. Wir standen direkt an einer Böschung, die an einer Eisenbahnbrücke endete, links vom Auto bretterten die Transit-LKW vorbei, was jedes Mal zum Wackeln des Autos führte. Ich versuchte mehrfach, den Motor zu starten, aber der Anlasser machte nur noch Klick…

Keiner von uns wusste Rat, es war stockfinster, schneite immer kräftiger und der aufgeworfene Schneematsch vorbeirauschender PKW und LKW nahm uns langsam die Sicht aus den linken Fenstern.

Also blieb mir weiter nichts übrig, als mich auf den Weg zur nächsten Autobahnrufsäule zu machen. Die Rufsäulen standen damals auf dem Mittelstreifen, und es waren maximal 2,5 km bis zur nächsten… Natürlich war es lebensgefährlich, die Fahrbahn zu überqueren, aber es ging nicht anders. Im dichten Schneetreiben trabte ich über den Mittelstreifen, jedes vorbeifahrende Fahrzeug, saute mich von oben bis unten mit Schneematsch ein … es war grauenvoll. Als ich die Rufsäule erreicht hatte, klappte ich den Deckel hoch und bekam sofort eine Verbindung zur Autobahnmeisterei. Eine Kollegin nahm meine Pannenmeldung entgegen und stellte mir rund eine Stunde Wartezeit in Aussicht. Dann der Rückweg zum Auto…

Unser Fahrzeug war inzwischen völlig ausgekühlt, auch Horst und Annette begannen zu frieren, aber mein Zustand war erbärmlich, da ich völlig durchnässt war. Annette holte ihre Reisetasche aus dem Kofferraum, trocknete und rubbelte mich ab, aber ich fror wie ein Hund.

Horst Alisch war ausgestiegen und versuchte, durch Winken und Handzeichen jemanden zum Anhalten zu veranlassen … umsonst.

Mehr als eineinhalb Stunden Wartezeit waren vergangen, aber keine Pannenhilfe in Sicht. Also machte ich mich noch einmal auf den Weg zur Rufsäule. Die selbe Kollegin war wieder dran und sagte mir, dass heute wohl Eishockey im Fernsehen war, aber das Spiel ist jetzt vorbei, und sie denkt mal, dass nun bald jemand kommt. Völlig durchfroren und durchgeweicht kam ich zum Auto zurück. Annette war entsetzt. Sie erklärte mir, dass ich mich dringend umziehen müsse, sonst hole ich mir den Tod, was Horst Alisch bestätigte. Aber ich hatte keine warmen Sachen dabei - ein Sakko, eine Stoffhose, zwei Oberhemden … das war's.

Annette wühlte ihre Tasche durch. Sie fand darin einen warmen weichen Rollkragenpullover und einen langen Strickrock. Horst und Annette gemeinsam zogen mir Jacke, Hemd und Hose aus (ich war inzwischen so gut wie bewegungsunfähig) und steckten mich in die wirklich warmen Klamotten. Neues Leben durchströmte meinen Körper…

Endlich kam der Pannenhelfer - ein Wartburg Tourist mit den beiden Vordersitzen (wobei der Beifahrersitz breiter war), dahinter Werkstatt. Der Pannenhelfer guckte in den Motor, versuchte zu starten und sagte dann kurz und knapp: "Der Motor ist festgefahren. Da ist nichts mehr zu machen… Der Wagen muss abgeschleppt werden, aber dazu brauche ich den Abschleppwagen. Und da ich heute Nacht allein im Dienst bin, muss ich den jetzt holen. Zwei von Euch kann ich mitnehmen, einer muss hier bleiben. Ist aber lebensgefährlich, die LKW kommen manchmal sehr dicht und sehr schnell vorbei." Das hatten wir allerdings schon gemerkt.

Jetzt ging der Streit zwischen uns dreien los. Annette sagte: "Frank, Du musst ins Warme, ich bleibe hier." Ich lehnte ab, das ging auf gar keinen Fall. Jetzt wollte Alisch dableiben. Ich lehnte wiederum ab. Schließlich konnte ich keinen freien Mitarbeiter mit dieser Verlagskarre im Dreckwetter unter lebensgefährlichen Umständen an der Autobahn stehen lassen. Also erläuterte Horst Alisch dem Pannenhelfer, dass wir jetzt alle drei mitfahren werden, egal wie, und falls es Strafe kostet, bezahlt er die.

Horst und ich quetschten uns nebeneinander auf den Beifahrersitz und ich nahm Annette auf den Schoß. Los ging die Fahrt zur Autobahnmeisterei, und unterwegs erklärte uns der Pannenhelfer, dass einer von uns wieder mit zurück muss, um den Wartburg zu lenken, wenn er ihn auf die Ladefläche zieht. Horst meldete sich sofort freiwillig.

Auf dem Autowerkstatthof angekommen, wechselten Alisch und der Pannenhelfer in den Abschleppwagen, und Annette und ich marschierten in die Straßenmeisterei. Drin saßen die Frau, die ich schon von der Rufsäule her kannte, und drei oder vier Fahrer von Räumfahrzeugen, die gerade Pause machten. Die blickten uns an, als kämen wir von einem anderen Stern: Frank Frenzel im Damenrollkragenpullover und Strickrock, aber mit Vollbart. Und so richtig vorteilhaft sah Annette wetterbedingt auch nicht mehr aus…

Wir erzählten kurz unsere Geschichte, ernteten viel Mitleid und bekamen schließlich von den Pausenbroten und -getränken reichlich ab. Inzwischen war auch Alisch wieder gut gelandet. Wir fragten, ob wir mal zu Hause anrufen dürfen, um unsere Angehörigen zu benachrichtigen. Dafür mussten wir etwas in die Kaffeekasse einzahlen. Annette und Horst konnten direkt mit Frau und Mann telefonieren, ich musste die Nachbarin anrufen, denn unser Antrag auf einen Telefonanschluss wurde erst seit acht Jahren bearbeitet, und neun Jahre musste man schon rechnen…

Blieben noch zwei Fragen zu klären: 1. Was wird aus dem Auto? - 2. Was wird aus uns? Die Chefin der Autobahnmeisterei bot uns an, man könnte uns zum nächsten Bahnhof fahren, Übernachten ist hier unmöglich. Wir lehnten ab und schlugen vor, im Umkleideraum auf den Bänken zu schlafen. Nach langem Hin und Her stimmte sie zu, aber nur unter der Maßgabe, dass wir aufstehen müssen bevor die Frühschicht kommt. Tja, und das Auto…? Der Pannenhelfer hatte noch mal in den Motor geschaut und festgestellt, dass da wirklich nichts mehr zu machen ist. Da musste ein neuer Motor rein und sein Kontingent für 1987 war längst erschöpft. Und da wir dieses Problem heute sowieso nicht mehr klären konnten, kuschelten wir erst mal auf den Bänken in der Garderobe, und schliefen also mehr schlecht als recht.

Am nächsten Morgen rief ich im Fahrdienst des Verlages Junge Welt an. Da war die Freude über unsere Panne groß… Man entschied nach einem Gespräch mit der Verlagsleitung, dass der Wartburg in der Autobahnmeisterei bleibt und ein Motor aus dem Verlagskontingent angeliefert wird. Außerdem schickte man uns einen PKW mit Fahrer, der uns abholte.

In Berlin ging das Theater dann richtig los. Der Fahrdienstleiter warf mir vor, dass ich das falsche Benzin getankt hätte (was sich später als falsch herausstellte), man fragte mich, warum wir das Auto nicht auf den nächsten Parkplatz geschoben haben, und allen möglichen weiteren Blödsinn…


…weshalb ich zigmal im Knast war

Wie schon in einer früheren FRÖSI-Geschichte berichtet, wurde das Kindermagazin FRÖSI im Strafvollzug in Bautzen - im Kommando FRÖSI - komplettiert und von dort ausgeliefert. Alle Beilagen, ob Weihnachtskalender oder Blumensamen, alle Umschläge, alle Bilder des Monats, alle Minihefte und 3-Brillen gingen durch die mehr oder minder geschickten Hände von verurteilten Häftlingen. Sie waren keine politischen Gefangenen sondern durchweg kriminelle Straftäter. Und noch einmal sei es gesagt: Viele DDR-Betriebe und Kombinate hatten im Strafvollzug riesige Produktionshallen, teils mit modernsten Maschinen.

Im Kommando FRÖSI gab es, soweit ich mich erinnern kann, nur eine Schneidemaschine für Papier, alles andere war Handarbeit. Einige kurze Episoden aus diesem Feld meiner Tätigkeit möchte ich in dieser FRÖSI-Geschichte zusammenfassen.

Vor jeder Dienstreise in den Strafvollzug musste unser Kommen angemeldet werden. Meist war ich gemeinsam mit Walter Stohr unterwegs, wenn es Richtung Bautzen ging, einige Male auch allein.

Unser Einlass in diese andere und für mich unheimliche Welt begann stets mit dem Klingeln an der Gefängnistür, der Frage aus der Wechselsprechanlage: "Wer da?" und unserer Antwort: "Redaktion FRÖSI, Berlin." Der Schnapper surrte, jetzt konnte man die Tür aufdrücken und stand vor der zweiten Tür. Diese ging erst aufzumachen, wenn die erste Tür wieder geschlossen war. Hinter der zweiten Tür befand sich die "Pförtnerkabine", die mit zwei oder drei Wachleuten besetzt war. Hier wurde der Ausweis überprüft, schließlich gegen einen Passierschein ausgetauscht. Jetzt erfolgte die Taschenkontrolle. Alles, was wir nicht unbedingt für unsere Arbeit brauchten, mussten wir abgeben.

Irgendwann einmal wollten wir unserem Zivilbeschäftigten Fritz Pietzsch mit einem Präsentkorb zum 60. Geburtstag gratulieren, was wohl die blödeste Idee war, die wir je gehabt hatten. In dieser Schleuse wurde uns fast alles aus dem Korb konfisziert - die Ananasbüchsen, die harte Wurst, der Sekt und der Schnaps, der Rührkuchen und das zugeschweißte Kaffeepäckchen. Ein Gurkenfass aus Glas wurde durchgelassen, einige kleine Waffelröllchen und Käsewürfel durften wir mitnehmen. Und natürlich den Präsentkorb an sich… Unsere Zivilbeschäftigten lachten sich scheckig, als wir mit dem völlig gerupften Korb in den Zellentrakt kamen "…Stohr und Frenzel haben sich ja für unseren Fritze zum Geburtstag mächtig ins Zeug gelegt mit so einem schicken Präsentkorb!" - "Ha, ha, ha…". Wir konnten eine Liste der beschlagnahmten Gegenstände übergeben, und die wurden dann dem Fritz auch beim Verlassen seiner hoch gesicherten Arbeitsstelle ausgehändigt.

Aber wir sind ja noch in der Schleuse. Nach der Taschenkontrolle erfolgte die Belehrung. Es ist verboten, sich mit den Strafgefangenen zu unterhalten, ihnen Dinge zu übergeben bzw. sich übergeben zu lassen, um diese mit aus dem Strafvollzug zu nehmen und vieles mehr. Wir mussten unterschreiben, dann ertönte ein Summer und wir konnten die nächste Tür passieren. Jetzt standen wir vor der vierten und letzten Tür, die sich wiederum erst öffnen ließ, wenn die dritte Tür geschlossen hatte. Nun standen wir auf dem ersten Innenhof. Hier wurden wir von einem Mitarbeiter des Kommandos FRÖSI erwartet, der uns abholte und schließlich in den Produktionsraum führte.

Unterwegs trafen wir stets die ersten Strafgefangenen, die den Hof harkten oder das Pflaster fegten, alle Gefängnisbereiche waren durch hohe Zäune voneinander getrennt, an den Zäunen waren Laufdrähte, an denen Schäferhunde mit kurzen Leinen herumtrabten. Die Ordnung und Sauberkeit im Knast war vorbildlich.

Unsere Zivilmitarbeiter hatten so eine Art Generalschlüssel, mit dem sie alle Türen und Pforten öffnen und wieder verschließen konnten.

Es war für mich immer wieder ein unglaublich bedrückendes Gefühl, wenn ich schließlich in den großen ebenerdigen vergitterten Raum kam, in dem die Strafgefangenen arbeiteten. Sicher, es waren kleine Betrüger und große Gewalttäter, Räuber, auch Mörder, Schläger und Vergewaltiger, zu kurzen Haftstrafen Verurteilte und Lebenslängliche, die hier Samentütchen einklebten, Umschläge falzten, Ecken sortierten … aber es waren eben auch Menschen, die mir unheimlich leid taten. Gut, einigen hätte ich im Freien wirklich nicht begegnen wollen, und im Dunklen schon gar nicht, aber ich hatte trotzdem richtig großes Mitgefühl mit ihnen. Mit einem freundlichen und lauten "Guten Tag!" durchquerten Walter und ich den Raum, und dann stand auch schon der erste flüsternd hinter mir "Kannst Du mal den Brief mit rausnehmen und abschicken?" Natürlich konnte ich nicht, und ich tat es auch nie. An der Stirnseite des Kommandos FRÖSI war die Meisterkabine, ein rundum verglaster Raum, in dem unsere Zivilangestellten ihr Büro hatten. Vorschrift war, dass immer einer von ihnen im Büro sein musste, um bei Vorfällen den Alarmknopf drücken zu können bzw. zu telefonieren.

Fünf Zivilbeschäftigte waren für 90 bis 100 Strafgefangene zuständig, allesamt in unserer Druckerei angestellt, die Bautzen quasi als Außenstelle betrieb. Während der Arbeitszeit waren keine Vollzugsbeamten anwesend. Sie brachten früh die Häftlinge und holten sie zum Feierabend wieder ab, tagsüber kam in unregelmäßigen Abständen ein Vollzugsbeamter durch.

Die Arbeit im Kommando FRÖSI war bei den Häftlingen sehr beliebt, sie war leicht, wetterunabhängig und relativ abwechslungsreich. Und manchmal gab es dort auch was Tolles zu sehen…

Im GGV in Dresden, wo FRÖSI gedruckt wurde, wurde auch das in der DDR sehr beliebte Magazin hergestellt. Wenn die FRÖSI-Hefte auf Paletten für den Transport abgelegt wurde, dann musste zwischen jede Lage FRÖSI-Hefte Makulatur-Papier gelegt werden. Dazu nahmen die Kollegen im GGV (das waren übrigens in der Buchbinderei auch Strafgefangene) gern Magazin-Druckbögen, auf denen nackte Mädels draufwaren. Und die kamen dann in Bautzen unbemerkt an. Die Häftlinge in Bautzen rissen sich förmlich darum, die Paletten abladen zu dürfen…

Tja, uns so ist es auch passiert, dass ab und an mal ein Nacktfoto in FRÖSI landete mit der handgeschriebenen Zeile "Bild des Monats…" Es waren eben auch Spaßvögel unter den Leuten… Übrigens ist dieses Ereignis über die Leserpost in unserer Redaktion belegt.

Im Nachhinein muss ich sagen, dass unsere Zivilbeschäftigten, aber natürlich auch die Strafgefangenen in Bautzen eine unglaubliche Arbeit geleistet haben. Jedes Mal, wenn ich diese unendlich vielen Paletten mit Druckbögen gesehen habe, und diese paar Männeken, die z.B. den Weihnachtskalender geklebt haben, dann ist es für mich ein Wunder, dass FRÖSI Monat für Monat pünktlich ausgeliefert wurde. Ich kann mich nicht an ein einziges Mal erinnern, wo es einen Verzug gegeben hätte. Natürlich wurden manchmal auch Überstunden geschoben … und extra bezahlt!


Eine schlüpfrige Bettgeschichte

Die Redaktion FRÖSI war bekannt und gefürchtet für ihre rauschenden Feste zu allen möglichen Gelegenheiten. Nein, wir verballerten keine Unsummen, wir gaben nicht mehr als andere Redaktion aus, aber wir füllten die Feste nicht nur mit Alkohol sondern auch mit Inhalt.

Walter Stohr war ein Organisations- und ein Improvisationstalent, wie es so schnell kein zweites gab. Auch oder gerade deshalb waren die Partys mit ihm stets hochrangig besetzt.

Erzählen möchte ich heute von einem unserer jährlichen Feste in Bautzen. In jedem November lud FRÖSI zum Jahresabschluss nach Bautzen ein. Bei uns zu Gast waren dann die Zivilbeschäftigten aus der Strafvollzugsanstalt Bautzen, wo das Heft im Kommando FRÖSI von Häftlingen komplettiert und ausgeliefert wurde, der Erzieher (das war ein Vollzugsbeamter, der als sozialer Betreuer die Gefangenen - vor allem in der Freizeit - betreute), der Leiter der Vollzugsanstalt sowie die Direktoren unserer Druckerei, dem Grafischen Großbetrieb Völkerfreundschaft, dem das Kommando FRÖSI zugeordnet war. So kamen aus Dresden Jochen Dietzmann und Manfred Kutschick, oft auch der Repro-Chef Horst Pohle und sein Stellvertreter Rolf Römer. In Ausnahmefällen erschien Hans Mauersberger, der alleroberste Chef der Druckerei, so eine Art Generaldirektor. Und manchmal luden wir auch Werner Ondraceck, Produktionsleiter aus dem Betriebsteil Heidenau ein, der uns oft Druckkapazitäten zusätzlich zur Verfügung stellte, wenn es mal richtig eng wurde. Aus Berlin reisten stets Walter Stohr und ich an. Und da alle Herren zu diesen Treffen auch ihre Frauen mitbrachten, waren wir immer so um die 20, 25 Personen. Die Veranstaltungsorte suchten jeweils die Bautzener Kollegen aus.

In diesem Jahr hatten sie das Bautzener Hotel "Weißer Hirsch" für die Feier und zum Übernachten für alle Angereisten erkoren.

Wir hatten dort also den Saal gemietet und praktischer Weise auch die notwendige Anzahl an Doppelzimmern, die alle von einem Flur in der ersten Etage abgingen. Die Zimmer waren relativ schlicht, aber sauber, mit Waschbecken, die Toiletten befanden sich im Flur - eine für die Herren und eine für die Damen.

Am Nachmittag bezogen wir also unsere Zimmer, dann gingen Walter und ich in den Saal und trafen einige Vorbereitungen. Wir legten kleine Präsente für die Damen auf die Tische, hingen alle möglichen Sachen an die Wände und verwandelten nach und nach den Raum in eine Art FRÖSI-Außenstelle.

Vom Haus war eine kleine Disko angemietet, ein Buffet errichtet und es wurde natürlich für die Getränke gesorgt. Aber diesmal hatte sich Walter Stohr was Besonderes überlegt, um die Kosten für die Getränke möglichst gering zu halten. Er hatte aus Berlin einen Spielzeug-Tanklaster mitgebracht, in den passten zwei Flaschen Schnaps, und den konnte man über den Tankschlauch in die Gläser abfüllen…

Unser Fest nahm den gewohnten Verlauf. Walter hielt eine flammende Rede, in der jeder der Anwesenden mit Lob bedacht wurde, er verteilte selbst gestaltete Urkunden, überreichte kleine Souvenirs mit großen Worten und erntete wie immer viel Lob und Applaus. Dann wurde gegessen, getrunken, viel gelacht, viel getanzt und viel geredet. Und das Reden war für Walter und mich immer das Wichtigste, denn wir konnten mal außerhalb der Direktionsetage in ganz lockerer Stimmung das eine oder andere Papierkontingent locker machen, über die Personalaufstockung der Strafgefangenen sprechen und anderes. Und ab und zu fuhr Walter mit seinem Tankwagen von Glas zu Glas, und war der Tankwagen leer bekam er eine neue Füllung…

Werner Ondraceck aus Heidenau war ein Supertyp. Er war der Schwiegervater eines DDR-Fußball-Nationalspielers, ein Top-Fachmann in allen Druckereifragen und ein Schlitzohr im besten Sinne des Wortes. Er wusste immer Rat, konnte immer helfen und war wirklich völlig selbstlos und bescheiden. Ich habe stets unglaublich gern mit ihm zusammengearbeitet. Aber Werner Ondraceck trank auch gern mal ein bisschen mehr. Er wurde dann erst lustig, unterhielt den ganzen Saal, dann wurde er müde und schließlich schlief er ein. So auch an diesem Abend und schon relativ bald. Er verabschiedete sich und ging so gegen 22.30 Uhr zu Bett.

Die Feier tobte fröhlich weiter, die Stimmung war bestens, alles war prima. Irgendwann wurden die ersten Damen müde und verabschiedeten sich gutgelaunt zur Nachtruhe. Eine von ihnen war Frau Mauersberger, die Gattin des Generaldirektors, eine wirklich ausgesprochen attraktive und gebildete Dame, nicht eingebildet und immer sehr nett.

Auch Hans Mauersberger, ihr Mann, war ein sehr kluger und integerer Mitbürger, er war nicht der große Stimmungsbringer, aber er genoss es regelmäßig, an unseren Feten teilzunehmen und war ein toller Gast. So auch an diesem Abend … bis er zu Bett ging.

Denn nach Mitternacht war folgendes passiert: Werner Ondraceck hatte sich in sein Bett gelegt, seine Frau feierte noch ausgelassen mit uns. Irgendwann war Frau Mauersberger ins Zimmer marschiert und hatte sich hingelegt. Einige Zeit später musste Ondraceck zur Toilette auf den Flur. Nachdem er sein Geschäft erledigt hatte, ging er wieder ins Bett, allerdings im falschen Zimmer. Werner legte sich zur Gattin des Generaldirektors und schlief weiter! Weder er noch sie hatten bemerkt, dass sich da eine Katastrophe anbahnte.

Und die passierte, als der oberste Druckereiboss gegen drei Uhr zu Bett gehen wollte und an der Seite seiner friedlich schlafenden Gattin den ebenfalls friedlich schlafenden Ondraceck vorfand. Mit der Nachruhe war es dann allerdings schlagartig vorbei, denn der Generaldirektor konnte furchtbar laut werden, wovon sich sehr viele Hotelgäste überzeugen konnten. Natürlich glaubte er weder ihm noch seiner Frau, dass beide nichts von einander gewusst hätten, als sie da so friedlich nebeneinander schlummerten…

Werner Ondraceck wurde bis zu seiner Verrentung nicht mehr befördert. Er hatte immer gehofft, vom Produktionsleiter zum Betriebsleiter aufzusteigen, aber das ging nur mit der Unterschrift vom großen Chef, und die hat er ihm versagt. Ich glaube, es lag an dieser ominösen Bettgeschichte, die wirklich ganz, ganz harmlos war.


Als Walter Stohr Bouletten in der Steppe aß…

Diese Geschichte habe ich (zum Glück) nicht selbst miterlebt. Sie wurde mir von Walter Stohr erzählt und durch eine der anwesenden Frauen später bestätigt.

Die Jugendorganisation der Mongolischen Volksrepublik hatte eine Delegation des Zentralrates der FDJ zu einem Besuch eingeladen. Und weil darüber später auch in den Medien berichtet werden sollte, wurde an FRÖSI die Anfrage gerichtet, ob man einen Journalisten mitschicken könnte. So kam es also, dass Walter Stohr, seines Zeichens stellvertretender Chefredakteur, zum Reisekader gehörte. Für vier Wochen ging es nach Asien, in ein unbekanntes Land und eine unbekannte Welt.

Mit dem Flugzeug landete die Delegation (bestehend aus 3 Mitarbeiterinnen des FDJ-Zentralrates und unserem Walter) in Ulan Bator, Nach offiziellem Empfang und der obligatorischen Stadtrundfahrt mit allerlei Begrüßungen durch alle möglichen gesellschaftlichen Kräfte ging es dann ab in die Steppe.

Die Delegation bereiste verschiedene Gegenden, wurde dort jeweils landestypisch in Jurten untergebracht und landestypisch versorgt, also mit Trockenfleisch, Kamelmilch und Wodka, wobei ich nicht weiß, ob Wodka zu den landestypischen Getränken in der Mongolei gehört … aber es gab ihn dort wohl in rauen Mengen.

Es waren sehr erlebnisreiche Wochen, geprägt vor allem von der unglaublichen Gastfreundschaft der Mongolen, ihren artistischen Vorführungen auf wilden Pferden, den mongolischen Ringkämpfen und den sagenhaften Landschaften.

Aber ein Problem wurde immer mächtiger: das Essen. Europäische Zähne sind eben nicht dafür ausgelegt, Trockenfleisch zu zerreißen, es auf Dauer klein zukauen und damit erst genießbar zu machen.

Den aufmerksamen mongolischen Gastgebern fiel natürlich auf, dass ihre Gäste zunehmend immer mehr Probleme damit hatten, die Mahlzeiten zu genießen. Und so ließen sie also über den Dolmetscher anfragen, mit welcher deutschen Speise sie der Delegation eventuell eine Freude machen könnten.

"Bouletten!" lautete die spontane Antwort der drei Zentralrats-Damen. Aha, Bouletten also. Was ist das, wie macht man das? Die Mädels gaben gern Auskunft: "Das Fleisch wird durch einen Fleischwolf gedreht, dann benötigt man etwas eingeweichtes Weißbrot, ein paar rohe Eier, Salz, Pfeffer und Zwiebeln, die Masse wird gut vermischt und dann in Fett gebraten." Alles klar, alles da, können wir machen, aber was ist ein Fleischwolf? "Ein Fleischwolf ist ein kleines Gerät, mit dem das Fleisch zerkleinert wird, sozusagen in Stückchen."

Der Familienrat trat zusammen, denn einen Fleischwolf gab es wohl in der ganzen Mongolei nicht. Aber die Großmutter der Familie hatte eine Idee. Sie winkte drei weitere Mütterchen heran, sie beratschlagten kurz, dann holten sie eine große Schüssel und eine gewisse Menge an Trockenfleisch. Und in Anwesenheit der deutschen Delegation zerkleinerten sie nun mit ihren Zähnen das Fleisch und spuckten es dann in die große Schüssel. Sie strahlten übers ganze Gesicht, als sie nach den ersten Versuchen ihre deutschen Gäste fragten, ob sie es so richtig machen. Nur Walter konnte noch Auskunft geben und lobte überschwänglich den Einfallsreichtum der Gastgeberinnen. Er wusste, was jetzt passiert. Den drei Zentralrats-Mädels wurde schlecht und sie gaben Walter zu verstehen, dass sie davon keinen Happen essen werden.

Walter ging mit ihnen vor die Jurte und sagte ihnen, dass das auf gar keinen Fall möglich ist. Die Gastgeber wären zutiefst und auf Dauer beleidigt, wenn sie das Essen ausschlagen würden, und das könne man auf gar keinen Fall machen. Und außerdem wäre es ja ihre eigene bescheuerte Idee gewesen, sich Bouletten zu wünschen… Aber die Damen blieben stur.

So griff unser Walter also zur Pulle. Er trank mit den Familienoberhäuptern auf die Freundschaft, auf die Steppe, auf die Jurte, auf die Liebe, auf die Großmütter, auf die Bouletten und das schöne Wetter. Dann tranken sie auf den Weltfrieden, die Sowjetunion und Juri Gagarin … Dann waren zwei Flaschen Wodka geleert, Walter war voll und die Bouletten waren fertig. Und Walter aß sie mit Genuss. Sie schmeckten wohl gar nicht mal schlecht.

Walter sagte mir später, er war so voll, als er die Bouletten in sich rein stopfte, dass er auch noch die drei Großmütter mit dazu geheiratet hätte. Ihm war alles egal, Wodka sei Dank!


"Unsere" Stickerei in Werda

Bei FRÖSI gab es immer einen großen Bedarf an kleinen Souvenirs. Wir brauchten diese Dinge als Kleinpreise für Preisausschreiben, für FRÖSI-Feste, als kleine Geschenke bei Tagungen und Beratungen und manchmal auch als "Türöffner" bei besonders kniffligen Anliegen. So gab es z.B. künstlerisch gestaltete Porzellanmedaillen und kleine Vasen, Korbine-Früchtchen-Puppen in verschiedenen Größen, den grünen Affen Otto als Plüschtier und andere Dinge.

Eines Tages kam unser Chefredakteur Wilfried Weidner zu mir und fragte mich, ob ich nicht eine Idee hätte, wo wir bestickte Taschentücher mit FRÖSI-Motiven herbekommen könnten.

Ich schlug nach im Buch "Wer liefert was?" und fand dort die Adresse und Telefonnummer einer Stickerei in Werda im Vogtland. Also rief ich an.

Eine Frau Frank war am anderen Ende der Leitung. Als ich mich mit "Redaktion FRÖSI Berlin" meldete hörte ich aus dem Telefon: "Ach nee, de FRÖSI aus Berlin, na das is ja ne Überraschung. Was will denn de FRÖSI von uns?" Ich muss an dieser Stelle mal sagen, dass der Namen FRÖSI überall in der Republik sofort für offene Ohren und nette Gespräche sorgte - ein Zeichen dafür, dass das Heft sowohl sehr bekannt als auch sehr beliebt war.

Ich erklärte Frau Frank kurz mein Anliegen und sie lud mich spontan zu einem Besuch in Werda ein. Aber ich sollte zwei Tage kommen, damit wir uns in Ruhe unterhalten können und sie mir auch den Betrieb mit all seinen Möglichkeiten zeigen könne. Wir vereinbarten also ein Treffen, ich schickte eine Zeichnung des Korbine-Motivs hin, das wir gern auf die Taschentücher gestickt hätten, denn sie wollte gleich einige Muster für uns fertigen.

Gemeinsam mit Klaus Rosentreter, einem Fahrer des Fahrdienstes, machte ich mich wenige Tage später auf den Weg ins Vogtland. Wir wurden dort überaus herzlich begrüßt, eine große Kaffeetafel war eingedeckt, Frau Frank und ihr Mann waren liebevoller Gastgeber und Betriebsleiter. Die bestickten Korbine-Taschentücher lagen auf dem Tisch und sie entsprachen schon sehr meinen Vorstellungen.

Frau Frank erzählte aus der Firmengeschichte, und ich erfuhr, dass ihre Großeltern den Betrieb um 1900 gegründet hatten, er über drei Generation im Familienbesitz war und schließlich 1972 enteignet wurde. Aber sie und ihr Mann wurden als Betriebsleiter bzw. Produktionsleiter eingesetzt und sie gehörten jetzt zu einem Textilkombinat.

Es folgte der Betriebsrundgang. Ich sah das erste Mal im Leben vollautomatische Stickmaschinen, die mindestens 70 Jahre alt waren und von Lochkarten gesteuert wurden. Eine mehr als verblüffende Technik. Und sie funktionierte perfekt. Es waren mindestens 50 Maschinen, die in einer großen Halle laut ratternd vor sich hin stickten. Die Arbeiterinnen, die die Maschinen bedienten und ständig mit Garnen und Stoffen versorgten, waren alle vogtländisch herzlich - es herrschte ein rundum fröhliches und nettes Betriebsklima.

Und diese nette und herzliche Stimmung setzte sich am Abend fort. Das Ehepaar Frank lud den Fahrer und mich zum Fondue ein, einer mir bis dahin völlig unbekannten Art der Fleischzubereitung. Wir erfuhren schon an diesem ersten Abend sehr viel voneinander, dienstliches und privates und übernachteten natürlich im Gästezimmer des Privathauses der Franks.

Eine langjährige und wunderbare Zusammenarbeit hatte begonnen. Wir bestellten immer wieder bestickte Taschentücher mit allen möglichen FRÖSI-Motiven, wir ließen Platzdeckchen besticken, Servietten, Tischdecken und Sabberlätze (mit witzigen Motiven für Erwachsene). Zu Weihnachten oder Ostern bestellten wir privat Tischdecken mit entsprechenden Motiven, die wir dann zum Einkaufspreis beziehen konnten - es waren prächtige Applikationen mit vielen filigranen Stickereien und Lochstickereien dazwischen, es war sogar - jetzt muss es raus - Exportware!

Das Ehepaar Frank hatte auch eine überaus attraktive Tochter, die Marika, damals so um die 25 Jahre alt und Studentin. Ich glaube sogar mich zu erinnern, dass sie am 29. Februar Geburtstag hat. Und ich hatte manchmal das Gefühl, dass die Else Frank es sehr gern gesehen hätte, mich zum Schwiegersohn zu machen. Während eines Aufenthaltes in Werda zeigte sie mir sogar einmal die gesamte Ausstattung mit bestickter Bett- und Tischwäsche, die einen Teil der Mitgift darstellte. Das waren Wäschestücke, wie ich sie bis dahin noch nicht und danach nicht mehr zu sehen bekam.

Was den Schwiegersohn betrifft, musste ich leider passen, denn ich war zu dieser Zeit (und heute noch immer) glücklich verheiratet und Vater von zwei Kindern.


Frank Frenzel (1951-2014) war von 1974 bis 1990 Redakteur und Autor bei FRÖSI. Nach der Wende arbeitete er als freiberuflicher Mediengestalter. Von 2005 bis 2012 schrieb er regelmäßig Kolumnen für diese Webseite über seine Zeit bei FRÖSI, nach der Wende, und begleitend zum FRÖSI-Index Anekdoten zu einzelnen Heftbeiträgen. Zwischen 2009 und 2011 betrieb er außerdem den satirischen Online-Blog "Emmy und Walther erklären die Welt".

Hier geht es zum ersten Teil des Archivs seiner Kolumnen.
Hier geht es zum dritten Teil des Archivs seiner Kolumnen.