Frank Frenzels FRÖSI-Geschichten (3)
Der Verlag Junge Welt als Arbeitgeber
In dieser FRÖSI-Geschichte möchte ich mal das räumliche Umfeld der Redaktion, also das Verlagsgebäude mit all seinen Einrichtungen und auch Annehmlichkeiten vorstellen.Genau genommen war der Verlag Junge Welt "Diener zweier Herren". Der eine, als Herausgeber auch die politische Oberaufsicht führend, war der Zentralrat der FDJ, der andere, was besonders die wirtschaftlichen Belange betraf, war die Zentrag, die "Dachorganisation" zentral geleiteter Betriebe des grafischen und polygrafischen Gewerbes, also einer Vielzahl der Verlage und Druckereien in der DDR.
Das brachte den Mitarbeitern des Verlages auch handfeste Vorteile. So standen uns z.B. in begrenztem Umfang Urlaubseinrichtungen sowohl des Zentralrates als auch der Zentrag für die eigene Ferienplanung zur Verfügung.
Der Verlag Junge Welt unterhielt auch zwei eigene Ferienheime. Das eine war die Grundmühle in der Sächsischen Schweiz (in der Nähe von Waltersdorf), das zweite befand sich bei Buckow, direkt am Schermützelsee, etwa 30 km von der Stadtgrenze Berlins entfernt. Die Einrichtung der Heime entsprach FDGB-Standard, war also keineswegs üppiger oder prächtiger, wie von vielen Ortsansässigen vermutet.
Dann hatte der Verlag noch einen weiteren Außenposten in Schildow bei Berlin. Hierbei handelte es sich um eine KFZ-Werkstatt, die aber für Verlagsmitarbeiter tabu war. Hier wurden ausschließlich die Dienstfahrzeuge des Verlages repariert oder gewartet, auch gab es Wartungsverträge mit anderen Zentrag-Betrieben.
Der Bereich Fahrdienst des Verlages verfügte über rund 20 so genannte Selbstfahrer-Fahrzeuge, das waren PKWs der Marke Wartburg und Tourist, die von Verlagsmitarbeitern mit einer Selbstfahrerlaubnis für dienstliche Zwecke ausgeliehen werden konnten.
Weitere 12 PKWs waren je mit einem festen Fahrer besetzt. Einer davon, der einzige übrigens, war dem Chefredakteur der Tageszeitung Junge Welt zugeordnet, ein zweiter war als Kurierfahrer im Einsatz. Der Kurier-Fahrer pendelte den Tag über zwischen Verlag Junge Welt in der Mauerstraße und dem Alexanderplatz, wo die Tageszeitung im Gebäude des Berliner Verlages in angemieteten Räumen residierte.
Und schließlich gehörten zum Fahrdienst des Verlages noch ein B 1000-Bus sowie ein B 1000-Transporter sowie ein LKW W 50 und eine eigene Waschhalle auf dem Hof unseres Verlagsgebäudes, die mit zwei Mitarbeitern besetzt war.
Ein echter Höhepunkt des Verlages Junge Welt war die Küchenabteilung unter der Leitung von Olaf Reppin. Im Erdgeschoss befand sich unser Speiseraum sowie die Küche, in der Hartmut Barnau als Chefkoch das Zepter schwang. Hilde kümmerte sich um den Verkauf am Kiosk und Andrea war in allen Bereichen zu Hause.
Zum Frühstück gab es leckere belegte Brötchen in großer Auswahl, Kuchen, Eier, Salate, Kaffee, Tee oder Milch, zum Mittagessen von 12 bis 14 Uhr waren in der Regel vier Wahlessen verfügbar, alle frisch und äußerst schmackhaft zubereitet, und ab 15 Uhr wurde für eine Stunde zum Kaffee eingeladen - alle Speisen und Getränke zu sehr moderaten Preisen, das Mittagessen ab 70 Pfennigen…
In der 3. Etage des Verlagsgebäudes befand sich der Club des Hauses. Hier herrschte Christa über Imbiss und Getränke, auch alkoholische, in einfühlsamer Art und immer mit einem Lächeln und netten Worten.
Sowohl den Club als auch den Speisesaal konnte man außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten für redaktionelle, auch private Feiern, mieten. Mit Olaf Reppin wurde die Versorgung abgesprochen, und dann zeigte das Küchenteam, was es auf dem gastronomischen Kasten hatte… In den 15 Jahren, die ich Mitarbeiter im Verlag Junge Welt war, erlebte ich manch rauschendes Fest mit einem Feuerwerk kulinarischer Kostbarkeiten.
Der Verlag war in Versorgungsfragen privilegiert, das muss man schon sagen, aber erst die Kochkunst der Mitarbeiter machte aus den Zutaten ein Erlebnis.
Weitere Einrichtungen des Verlages Junge Welt waren die Bildstelle für alle möglichen Fotoarbeiten mit angeschlossenem Bildarchiv und Atelier, ein Zeitschriftenarchiv (nur für ausgewählte Personen zugänglich), eine Bibliothek, die Reisestelle, wo alle Dienstreisen beantragt und vorbereitet wurden, die Hauptkasse, die Honorare oder Reisekostenabrechnungen auszahlte und eine Rote-Kreuz-Station, wo eine Schwester täglich Dienst schob und mehrmals pro Woche auch eine Betriebsärztin anwesend war.
Die "allgemeine Verwaltung" unter der Herrschaft von Peter Deistler kümmerte sich um alle anderen Belange, die die redaktionelle und verlegerische Arbeit betraf. Hier konnten wir neue Schreibmaschinen beantragen, Blumenvasen oder Durchschlagpapier und Kugelschreiber… Auch Gastgeschenke oder Pokale besorgten Peter und sein Team, ebenso Büroschränke oder Stühle für die Redaktionssitzungen.
Man kann sagen, dass ein ganzes Heer von Mitarbeitern dafür zuständig war, den redaktionellen Abläufen ein möglichst angenehmes Umfeld zu bieten und damit für ein sehr angenehmes Betriebsklima zu sorgen.
Etwas gewöhngsbedürftig für neue Mitarbeiter im Verlag war das "Du", mit dem sich alle anredeten. Begründet wurde es mit der Tatsache, dass unser Arbeitgeber letztlich der Zentralrat der FDJ war und dort seien eben alle "Jugendfreunde" und die duzen sich nun mal…
Mit Horst Alisch auf Wintertour
Bereits am Silvester-Nachmittag gestalteten wir eine Kinder-Party mit anschließendem Tischfeuerwerk und gegen 19 Uhr stieg dann die rauschende Nacht, die oft erst gegen vier oder fünf Uhr am frühen Morgen endete.
Horst Alisch wollte unbedingt gemeinsam mit seiner Gattin Margitta einmal an einer dieser legendären Silvester-Feiern in Waltersdorf teilnehmen. Das war gar nicht so einfach, denn diese Plätze waren bei den Verlagsmitarbeitern sehr begehrt, an die die Plätze vorrangig vergeben wurden. Aber Ende 1987 klappte es. Zwei Plätze wurden kurz vor Weihnachten zurückgegeben, und die konnte Horst Alisch übernehmen.
Und so machten wir uns am 27. Dezember mit drei PKWs auf die Reise von Berlin in die Sächsische Schweiz. Lutz Daase fuhr in seinem Wartburg Tourist, beladen mit der Disko-Technik und seiner Familie vornweg, ich folgte im privaten Wartburg 353 incl. Familie und Horst Alisch bildete mit Gattin im weißen Lada das Ende der Reisgruppe. Es schneite an diesem Tag, und Horst Alisch hatte uns vor der Abfahrt intensiv darauf hingewiesen, dass er bei Schneeglätte Probleme mit seinem Heckantrieb bekommen könnte, und darauf sollten wir Rücksicht nehmen und nicht so rasen…
Die Autobahn war gut geräumt und wir kamen gut voran. Berlin Richtung Cottbus, dann Richtung Dresden und schließlich Richtung Bautzen bis zur Abfahrt Radeberg. Von dort an ging es Richtung Stolpen und Bastei auf Landstraßen weiter.
Die Straßenverhältnisse wurden schlechter, es schneite und wir fuhren immer langsamer. Trotzdem vergrößerte sich der Abstand zwischen meinem Auto und Horst Alisch.
In einer lang gestreckten Kurve kurz vor dem Abzweig zur Bastei war Horst Alisch hinter mir verschwunden. Ich gab Lutz Dasse die Lichthupe und wir hielten beide an. Aber Alisch kam nicht. Es schneite wie verrückt, und ein Trabbi näherte sich von hinten. Ich winkte dem Fahrer zu, der hielt kurz an, kurbelte die Scheibe herunter und fragte: "Warten Sie auf einen weißen Lada? Der ist von der Straße gerutscht und steckt in einer Schneewehe. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Da hat ein Schneepflug angehalten, der zieht ihn wieder raus. Schönen Tag noch." Fenster hoch und weg.
Etwa 10 Minuten später kam der Schneepflug. Es war ein Trecker mit einem Räumschild, der da herantuckerte und hinter dem Schneepflug sah man einen weißen Lada, dessen Vorderräder in der Luft hingen und der nach links und rechts langsam hin- und herschleuderte. Der Trecker fuhr an uns vorbei, dicht gefolgt von Alisch, der krampfhaft das Lenkrad festhielt sowie unentwegt hupte und seiner Frau, die die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte um möglichst nichts zu sehen.
Wir folgten dem Gespann und hielten jedes Mal die Luft an, wenn der Lada nach links ausbrach und in den Gegenverkehr schleuderte, der zum Glück nicht kam…
Vor der Zufahrt zum Ferienheim stoppte der Trecker, der Fahrer stieg ab, löste den Lada vom Haken und wünschte Herrn Alisch schöne Tage. Der bedankte sich mit einem guten Trinkgeld und freute sich, dass diese Tor-Tour vorüber war.
Was war passiert? Horst Alisch war in der lang gestreckten Kurve ins Rutschen gekommen und landete in einer Schneewehe auf der rechten Straßenseite. Just in diesem Moment kam der Schneepflug, hielt an und der Fahrer fragte, ob er helfen könne. Alisch bat den Mann, ihn wieder auf die Straße zu ziehen, was dieser auch tat. Sie begutachteten dann den Lada und konnten keine Beschädigungen feststellen. Schließlich fragte der Schneepflug-Pilot, wo Alisch denn hinwolle. Der sagte ihm, dass er zum Ferienheim des Verlages Junge Welt fahren möchte. Darauf der Schneepflug-Fahrer: "Da fahre ich lang. Da ist es sehr glatt und da kommen noch einige Steigungen und steile Abfahrten. Ich nehme Sie an den Abschlepphaken und ziehe Sie dort hin. Und wenn irgendwas ist, dann hupen Sie." Gesagt - getan. Der Schneepflug-Fahrer setzte seine Lärmschutz-Kopfhörer auf und fuhr los. Jetzt konnte Alisch hupen so oft er wollte, sein Vordermann hörte es ganz einfach nicht. Und als der Trecker anfuhr, hob er den Lada vorn so an, dass die Vorderräder in der Luft hingen und an ein Mitlenken überhaupt nicht zu denken war…
So kam es also, dass Alisch und seine Gattin schweißgebadet und in tausend Ängsten vor der Zufahrt zum Ferienheim samt Auto abgestellt wurden.
Es folgte eine sehr schöne Ferienwoche in der herrlich verschneiten Sächsischen Schweiz und Horst Alisch hatte eine Woche lang etwas zu erzählen…
FRÖSI und der Kulturpalast in Dresden
Irgendwann Anfang der 80er Jahre gab es eine Anfrage aus dem Kulturpalast Dresden in der Redaktion FRÖSI, ob man dort bei der "Brücken-Männchen-Revue" die FRÖSI-Figur Otto verwenden dürfe. Und so fuhren Walter Stohr und ich nach der nächsten Heftübergabe in unserer Druckerei also zum Altmarkt, trafen uns dort mit dem Grafiker Jürgen Günther und marschierten dann gemeinsam in die Künstlerische Direktion des Kulturpalastes zu Frau Hermersdorfer, von der wir uns nach zweistündigem Gespräch als Hermi wieder verabschiedeten. Und eine wunderbare Zusammenarbeit hatte begonnen.Hermi war die gute Seele, sie plante und organisierte Soloprogramme, Shows, Kinderveranstaltungen, Konzerte, Ballettabende … und was sonst noch alles im Kulturpalast in Dresden stattfand. Später auch unsere FRÖSI-Feste im großen Saal und im Foyer. Und Hermi hatte überall hin ihre Drähte. Hotelzimmer? Kein Problem. Der Kulturpalast verfügte ständig über vorgebuchte Kapazitäten… Semperoper? Da rufe ich mal schnell den soundso an… Radeberger Pilsner? Wir gehen mal zu Gerd Mai…
Ach ja, Gerd Mai. Das war der Gastronomische Direktor des Kulturpalastes, Chef also aller Küchen, Restaurants und Bars im Haus. Gerd Mai war schon als Mann eine imposante Erscheinung - groß und kräftig, äußerst gepflegt, sehr gebildet und resolut in seinen Entscheidungen, was ihm den Respekt aller Mitarbeiter einbrachte. Und da er das Handwerk von der Pike auf gelernt hatte, konnte er auch überall mitreden und natürlich den Ton angeben, ob in der Küche oder im Service, beim Einkauf oder der Lagerhaltung.
Fortan wurde unsere "Stammkneipe" in Dresden das Speiserestaurant des Kulturpalastes. Für uns war dort immer ein Tisch mit bester Aussicht reserviert und wenn wir die Kellnerin fragten, ob Gerd Mai im Hause sei, dann kam sofort die erschrockene Frage: "Ist irgend etwas nicht in Ordnung?"
Fortan erhielten unsere FRÖSI-Feste eine neue Dimension. Keine Kinderveranstaltung in Dresden mehr ohne FRÖSI-Bastel- und Spielstände, die FRÖSI-Disko in kleiner Version im Foyer und in großer Ausstattung im Saal, mit DDR-Künstlern wie Inka, der Gruppe Karussell oder Zauber-Peter, natürlich Horst Alisch als Schnellzeichner und Riesen-Bühnenbild von Jürgen Günther mit Alwin und Otto. Und mittendrin stets Heinz Klenski vom Kombinat SERO, das zweimal im Jahr tief in die Kasse der Öffentlichkeitsarbeit griff. Sogar der SERO-Generaldirektor gab uns in Dresden gelegentlich die Ehre.
Unser größtes Emmy-Fest im Kulturpalast fand 1988 statt und ging über drei Tage. Es waren drei Veranstaltungen. Am Donnerstag waren die besten Pioniergruppen aus dem Bezirk Dresden eingeladen, am Freitag die aus der Stadt Dresden und am Samstag rund 800 bis 1.000 Pionierleiterinnen und Pionierleiter von überall zu einer Abendveranstaltung bis in den nächsten Morgen.
Es waren drei sensationelle Feste, jedes auf seine Art und Weise. Am Donnerstag, als die Kinder aus dem ganzen Bezirk in Sonderbussen ins Zentrum der Stadt kamen, waren viele dabei, die zum ersten Mal ein Kinderfest im Kulturpalast erlebten. Sie bestaunten das Gebäude, benahmen sich ganz artig und ordentlich, stellten sich überall an und waren wirklich so was von lieb und nett, dass uns das Herz aufging. Als die Party dann tobte, machten sie ausgelassen und fröhlich mit oder bejubelten die vielen Künstler, die sie bisher nur aus dem Fernsehen kannten.
Ein Höhepunkt (bei jeder Party) war die so genannte "Kellner-Parade". Dazu steckte Gerd May alle verfügbaren Mitarbeiter des Kulturpalastes (also nicht nur seine eigenen) in Kellner-Garderobe, dann flogen gleichzeitig alle Flügeltüren zum großen Saal auf, Marschmusik ertönte, die Scheinwerfer gingen an, und rund 150 Servierkräfte marschierten mit je zwei Tellern Würstchen und Kartoffelsalat zu den Kindern. Dann gingen sie im Gänsemarsch wieder raus, holten die nächsten Teller … bis alle Kinder versorgt waren. Das war unglaublich eindrucksvoll. Nach der Veranstaltung kamen zig Kinder und Pionierleiter vor auf die Bühne und bedankten sich bei uns für das schönste Fest in ihrem Leben…
Das zweite Emmy-Pionierfest mit den Kindern aus der Stadt Dresden verlief ähnlich, nur dass sie den Kulturpalast natürlich kannten und des öfteren dort auch schon zu Besuch gewesen waren.
Es folgte am dritten Tag die Abendveranstaltung mit den Erwachsenen. Wieder war der Saal prächtig dekoriert und das Fest verlief mit leicht verändertem Programm zu den Kinderpartys. Und gemeinsam mit der Bezirksleitung der FDJ hatten wir uns etwas ganz besonderes überlegt: Wir versteigerten "Fünf Katzen im Sack". Das waren fünf große Säcke, gefüllt vor allem mit zusammengeknüllten Zeitungspapier und irgendeinem wertlosen Gegenstand - alles natürlich von Annette Schlegel vorbereitet. Dann startete ich die Versteigerung, das Mindestgebot lag bei einer Mark, erhöht werden konnte jeweils nur um mindestens eine weitere Mark. So ging der erste Sack für rund 60 Mark weg. Der Gewinner musste auf die Bühne und auspacken. Nach langer Sucherei fand er (oder sie) z.B. eine Zeltlampe. Große Enttäuschung, die war vielleicht fünf Mark wert. Der zweite Sack brachte dann auch nur noch 25 Mark (er enthielt eine Wanderkarte in polnischer Sprache), für den dritten Sack bekam ich noch 10 Mark (für eine Mitropa-Kaffeetasse), den vierten Sack konnte ich mit Mühe und Not für 2 Mark loswerden (ein Säckchen mit Muscheln war darin zu finden) … aber jetzt der letzte Sack! Da musste doch der Knaller drin sein. Über 100 Mark erhielt ich für … einen kleinen Berliner Plaste-Fernsehturm. So, fünf bitter enttäuschte Party-Gäste und ein jubelndes Publikum, das froh war, keinen der Säcke bekommen zu haben… Nun war meine Moderatoren-Kunst gefragt. "Na, freut Ihr Euch? Habt ihr doch tolle Geschenke für den nächsten Julklapp, oder wenn ein unfreundlicher Kollege Geburtstag hat oder so." Es wollte keine Freude aufkommen. Ich schlug vor: "Schüttelt doch mal Eure Geschenke, vielleicht fällt was raus?". Es fiel natürlich nichts raus. "Also gut. Letzter Versuch. Ihr kennt doch das Märchen vom Froschkönig - die Prinzessin küsst den Frosch und aus ihm wird ein Prinz. Das machen wir jetzt auch". Darauf eine Pionierleiterin: "Ich küsse doch keine Zeltlampe. Was soll denn da draus werden? Vielleicht ein Ohrenkneifer…?" Das Publikum tobte. Ich bestand auf diesen Kuss, das Licht flackerte, Rauch strömte auf die Bühne und die Gute Fee (in diesem Fall die blonde Maria von der FDJ-Bezirksleitung "schwebte" im sagenhaften roten Abendkleid auf die Bühne und tauschte die ersteigerten Dinge gegen die Gewinne aus: Für die Zeltlampe gab es eine komplette Campingausrüstung sowie einen Ostsee-Zeltschein für zwei Wochen, die Muscheln waren vom Schwarzen Meer und brachten zwei Wochen Urlaub in Varna, die polnische Wanderkarte bedeutete zwei Wochen Urlaub im Riesengebirge mit der Mitropa-Kaffeetasse war eine Zugreise an den Baikalsee verbunden und der Fernsehturm stand für zwei Wochen in der Hauptstadt mit großem Rahmenprogramm. So viel und intensiv wurde ich selten auf der Bühne öffentlich geküsst.
Über diese drei Feste berichtete sogar die Lokalpresse auf den vorderen Seiten.
Finanziert wurde speziell diese Veranstaltungsreihe neben SERO auch vom Kulturpalast und der FDJ, wobei letztere die Preise zur Verfügung gestellt hatte.
Ende 1989 fand unser letztes gemeinsames Fest im Kulturpalast statt.
Leider weiß ich nicht, was aus Hermi und Gerd Mai geworden ist, aber sollte sie zufällig jemand kennen, dann richtet ihnen bitte aus, dass niemals vergessen ist, wie viel Freude und glückliche Stunden sie den Kindern (natürlich auch den Erwachsenen) bereitet haben … jedenfalls nicht von mir.
Der Herrentag in Sachsen
Der Kulturpalast hatte einen Bus gemietet, an Bord waren mehrere Kästen Bier, kleine "Spaßmacher" und 12 durstige und abenteuerlustige Männer. Einer der Kellner hatte eine unglaubliche Bass-Stimme (ich kann einfach drei "s" oder "f" nicht hintereinander schreiben. d. Autor) und der trällerte ein Lied nach dem anderen.
Und da es keine reine Sauftour werden sollte, legte Gerd May immer größten Wert darauf, dass kulturelle Ziele angefahren wurden.
Das erste war ein Aussichtsturm. Davor saß der sturmhagelvolle Turmwärter. Wir kamen singend anmarschiert und schleppten vom Parkplatz aus vorsichtshalber einen Kasten Bier mit. Er grölte uns entgegen: "Wir singen jetzt ein anderes Lied. Das bringe ich Euch gleich bei." Und da er Eintritt kassieren sollte, schloss er den Turm einfach ab, damit sich keiner reinschummelt. An die Leute, die schon im Turm waren, dachte er dabei nicht. Jetzt stellte er sich schwankend uns gegenüber und gab folgenden Text zum Besten (den vergesse ich im ganzen Leben nicht mehr): "Wenn im Mai die Blumen blühen - und die Weiber Fressen ziehen - dann ist Herrentag - dann ist Herrentag im Mai" Nun mussten wir singen, dann wollte er mit uns anstoßen. Also taten wir das. Jetzt wollte er einen Kanon. Von innen klopften die Leute an die Blechtür, die aus dem Turm wollten und davor begehrten immer mehr Einlass. Der Turmwärter grölte: "Jetzt gibt's kein Rein und Raus - haltet dieses Lied noch aus!" - ein wahrer Schöngeist eben…
Nach unserem Kanon stieß er noch einmal mit uns an und ging dann wieder seiner eigentlichen Aufgabe nach. Wir durften allerdings umsonst die Aussicht genießen…
Der zweite kulturelle Höhepunkt war der Besuch eines kleinen Heimat-Museums. Inzwischen hatten wir ordentlich aufgetankt und waren in allerbester Stimmung. Die Grafiker Horst Alisch und Jürgen Günther lagen sich in den Armen und alle anderen auch. Wieder laut singend - allerdings ohne Bierkasten - näherten wir uns der Museumskasse, entrichteten den geforderten Obolus und gingen auf Rundgang. Ausgestellt waren Ritterrüstungen, mittelalterliches Geschirr usw. An den Wänden hingen viele Gemälde, für die sich natürlich unsere Grafiker besonders interessierten. Vor einem Kunstwerk stritten sich Alisch und Günther darüber, ob das Bild aufgearbeitet sei. Schließlich stellten sie fest, dass es zu dunkel ist um ein endgültiges Urteil abgeben zu können. Einer von beiden (ich weiß nicht mehr wer) nahm das kleine Gemälde also von der Wand und ging damit zum Fenster. Eine Alarmklingel schrillte los. Sofort kam eine Kollegin der Aufsicht angerannt, blickte sich kurz im Raum um (da waren rund 20 Leute drin) und rief "Diebe, Diebe! Ein Bild fehlt!" Dann rannte sie wieder raus. Alisch und Günther ließen sich nicht stören, stellten am Fenster schließlich beide fest, dass es restauriert wurde, aber wenig fachgerecht, und hingen es wieder an die Wand.
Die Museumstür war inzwischen abgeschlossen und wieder kam unseretwegen keiner rein oder raus. Aber diesmal saßen wir mit in der Falle.
Die Mitarbeiterin kam mit einem Kollegen zurück "Wer hat das Bild gestohlen? Geben Sie es sofort zurück! - da hängt es ja wieder?! Wer war das?" Alisch meldete sich zu Wort und lallte: "Wir wollten das Bild doch nicht stehlen, wir mussten damit nur mal zum Fenster, weil es hier hinten so dunkel ist…" Und Jürgen Günther ergänzte: "Dann müssen sie eben mehr Licht machen, damit man alles richtig sehen kann. Schließlich haben wir ja Eintritt bezahlt, und da wollen wir uns auch alles ganz genau angucken können. Wir sind nämlich Grafiker." - "Sogar FRÖSI-Grafiker!" sagte Alisch. Und Jürgen Günther setzte noch einen drauf: "Und meine Frau ist sogar Malerin … Kunstmalerin sogar … Hertha Günther … das ist meine Frau!"
Ärger gab es trotzdem. Die Namen und Adressen der beiden wurden notiert und man wolle noch überlegen, ob Anzeige erstattet wird.
Das Kulturprogramm war für diesen Tag nun endgültig erledigt und wir widmeten uns ausschließlich den kulinarischen Genüssen und geistigen Getränken…
Mit immer tiefgreiferenden Gesprächen und schließlich philosophischen Gedankenaustauschen und Betrachtungen ging auch dieser Tag irgendwann zu Ende.
Der Busfahrer setzte uns am Hotel ab und dort schwärmten wir schon erwartungsvoll vom nächsten Herrentag in Sachsen…
Mit Emmy in Karl-Marx-Stadt
Der rote Elefant Emmy, die Symbolfigur für die Sekundärrohstofferfassung in der DDR, hatte viele kleine und große Freunde im ganzen Land.Eines Tages erhielt ich in der Redaktion einen Anruf vom Rat der Stadt Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz).
Am anderen Ende der Leitung war der Referent für die örtliche Versorgungswirtschaft (oder so ähnlich) und stellv. Bürgermeister Frank Finsterbusch. In dessen Zuständigkeit fiel auch die Organisation und Sammlung von Altrohstoffen in der Stadt.
Frank Finsterbusch fragte mich, was er denn tun müsse, dass Emmy mal mit einer Extra-Aktion in die Bezirkshauptstadt kommen würde. Mein Vorschlag: Einfach mal mit uns reden.
Gesagt - getan: Meine nächste Dienstfahrt führte mich nach Sachsen. Und ich lernte einen irren Typen kennen, jenen Herrn Finsterbusch, der mir schon am Telefon sehr sympathisch war. Sein Anliegen: Er wollte ein großes Pionierfest in Karl-Marx-Stadt feiern, zum einen, um den vielen fleißigen SERO-Sammlern der Stadt Dankeschön zu sagen und zum anderen, um neue Energien in Sachen SERO-Sammeln freizusetzen.
Das Wort "Problem" hatte für Frank Finsterbusch keine Bedeutung. Probleme, die nicht lösbar waren, gab es für ihn nicht. Ich bekam damals einen ersten Eindruck davon, was alles machbar ist, wenn man die richtigen Leute kennt und sie auch für die Sache an seiner Seite weiß.
Er wollte es also richtig krachen lassen. Wir sprachen natürlich über Geld, aber er sagte nur: "Mach' mal ne Kalkulation, und dann gucken wir anschließend, wo wir es hernehmen."
Wieder in Berlin rief ich meinen Kollegen Klaus-Peter Eckert beim Kinderfernsehen der DDR an, der unter anderem Hauptredakteur der Sendung "HE DU" war und Heinz Klensky, den Chef der Öffentlichkeitsarbeit im SERO-Kombinat. Wir drei setzten uns also zusammen und entwickelten ein FRÖSI-Kinderprogramm für Karl-Marx-Stadt.
Frank Finsterbusch mietete unterdessen die Stadthalle an und harrte der Dinge, die da auf ihn zukommen würden. Besonders neugierig wartete er natürlich auf die Kalkulation.
Wir bastelten inzwischen ein Programm zusammen, das es in sich hatte. Die Rockgruppe KARUSSEL, Inka und die FRÖSI-Disko waren für den musikalischen Teil zuständig, Horst Alisch sollte als Schnellzeichner auftreten, Zauberer und Artisten wurden gebucht, aber auch Talente und Solisten aus verschiedenen Schulen der Stadt sollten auftreten. Das Budget für alles incl. Saalmiete, Verpflegung, Hotel und Anreise der Künstler lag so bei rund 100.000 Mark. Das Kombinat SERO übernahm die Hälfte und Frank Finsterbusch organisierte den zweiten Teil. Das Fest konnte also beginnen.
Ungefähr zwei Wochen vorher rief er mich in Berlin an und fragte, ob ich nicht Ausstechformen für Lebkuchen im Emmy-Umriss noch ganz schnell liefern könnte. Er hätte einen Bäcker gefunden, der aus Lebkuchenteig Schokoladen-Emmys kostenlos ausstechen und backen würde. Alisch fertigte eine Konturenzeichnung an und mein Schwiegervater Alfred Borkner formte aus Federstahl die Kontur mehrfach nach.
Das erste Emmy-Fest in Karl-Marx-Stadt war ein lokales Ereignis! Natürlich hielt der Bürgermeister eine Rede, der SERO-Generaldirektor Hajo Schmidt folgte, dann Frank Finsterbusch und schließlich stieg die Party für die rund 3.000 geladenen Kinder.
Ein absoluter Höhepunkt waren die Lebkuchen-Emmys mit Schokoladenüberzug. Der Bäckermeister hatte im Vestibül zig Regale aufstellen lassen, aus denen jedes Kind ein Exemplar, das immerhin rund 30 cm lang war, bekam.
Tags darauf überschlug sich die Lokalpresse vor Begeisterung über die äußerst gelungene Veranstaltung, Frank Finsterbusch erntete Lorbeeren aus Politik und Wirtschaft und wir standen gemeinsam am Beginn einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit, aus der auch Freundschaft wurde. Fortan waren FRÖSI und Emmy regelmäßig zu Gast in dieser Stadt.
Frank Finsterbusch hatte heimlich bei einem befreundeten Schmied eine Art Innungszeichen von Emmy aus Eisen anfertigen lassen, dass man an einem Galgen an die Außenwand von ausgezeichneten SERO-Annahmestellen anschrauben konnte, so wie es auch vor Geschäften von Bäckern, Fleischern oder Friseuren gelegentlich hängt. Und mit dem ersten Exemplar wollte er uns überraschen. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter und dem eisernen Emmy-Schild machten sie sich also unangemeldet auf den Weg nach Berlin, wo sie irgendwann gegen 4 oder 5 Uhr morgens vor dem Verlag Junge Welt eintrafen. Sie klingelten beim Nachtpförtner, denn der Verlag war rund um die Uhr besetzt. Es kostete einige Überredungskunst, Einlass zu erhalten und dann auch noch die Genehmigung zu bekommen, das Schild heimlich an unserer Bürotür anzubringen. Frank Finsterbusch und sein Kollege hatten alles mitgebracht, was man dazu benötigte: eine Leiter, eine Bohrmaschine, Schrauben und Dübel.
Dann versteckten sich die beiden und warteten auf unser Eintreffen. Natürlich gab es ein riesiges Hallo, als wir zur Arbeit kamen. Und Walter und ich waren ehrlich gerührt über soviel Engagement für unsere Emmy-Aktion.
Natürlich machten wir daraus wieder eine große Sammelaktion. Die FRÖSI-Leser konnten sich mit ihren Sammelergebnissen für ein solches Schild an ihrer Annahmestelle bewerben. Insgesamt ließen wir 100 Stück anfertigen. Das erste aber hing bis zum Schluss vor der Bürotür von Walter Stohr und Frank Frenzel!
Übrigens: Über die "Rückkehr von Emmy nach Berlin" hat Horst Alisch eine zweiseitige Bildgeschichte getextet und gezeichnet, die auch in FRÖSI erschienen ist. Das war ein kleines Dankeschön unsererseits für diese tolle Idee und wirklich gelungene Überraschung. Und Frank Finsterbusch und seine Sekretärin sind wirklich perfekt grafisch wiedergegeben, eben ein wirklich guter Karikaturist, der alte Alisch…
Die 100.000-Mark-Story
KARUSSELL war in Naumburg bei Leipzig registriert und dort auch in Person des Bandchefs Wolf-Rüdiger Raschke wohnhaft. Seine Frau Geli kümmerte sich um Termine und ums Geschäft, und da die Band auch des Öfteren auf Tour war um die Familie und das Haus. Nur der Sänger Dirk Michaelis lebte in Berlin-Friedrichshain.
Eines Tages war die Band zu Fernsehaufnahmen in Berlin-Adlershof, da erreichte Wolf ein Anruf, dass die Lichtbrücke, die er für die eigene fahrbare Bühne anfertigen ließ, fertig sei. Das Problem: Der Handwerker wollte das Geld sofort und in bar haben, knappe 10.000 Mark - aber so viel hatte Raschke nicht dabei. Also fragte er Dirk, ob er an seine Adresse eine telegrafische Überweisung von seiner Frau in Naunhof machen könne. Natürlich, warum nicht, also rief Raschke in Naunhof an, wo die Überweisung sofort veranlasst wurde.
Drei, vier Stunden später, so gegen 18 Uhr, erhielt Dirk ein Telegramm, wo ein Überweisungsbetrag von 100.000 Mark mitgeteilt wurde, abzuholen auf dem Hauptpostamt am Ostbahnhof.
Was tun? Raschke rief seine Frau an und tobte rum, dass sie einen falschen Betrag eingesetzt hätte, doch auf Gelis Quittung standen nur die gewünschten 10.000 Mark, und mehr hatte sie am Schalter auch nicht eingezahlt. Sie brauchten das Geld dringend am nächsten Tag, also war es unmöglich, den Irrtum zu reklamieren. Raschke entschied: "Holen wir erst mal die Kohle und dann sehen wirt weiter."
Sie fuhren zu besagtem Postamt (es war das einzige in Berlin, das rund um die Uhr geöffnet hatte), und Dirk schob das Telgramm durch den Schlitz vor dem Beamten. Der las den Text, ging an den Panzerschrank und zuckte mit den Schultern: "Soviel ist nicht mehr im Tresor. Da muss ich erst noch was bringen lassen. Kommen Sie in zwei Stunden wieder." Dirk und Wolf warteten in der MITROPA des Ostbahnhofes.
Und tatsächlich - nach knapp zwei Stunden kam ein Funkwagen mit Blaulicht, fuhr auf den Hof der Post und verschwand kurz darauf wieder.
Versuch zwei klappte, der Beamte zählte das Geld in relativ kleinen Scheinen vor und Dirk steckte es in eine mitgebrachte Plastiktüte.
Im Auto zählte Wolf 10.000 Mark die Lichtbrücke ab und fuhr in sein Hotel. Dirk machte sich mit den restlichen 90.000 auf den Heimweg. Er sollte das Geld bis zum nächsten Tag im Schrank verstecken, dann wollten sie gemeinsam überlegen, was sie damit machen. Birgit Michaelis war überhaupt nicht erfreut, dass sie die Nacht mit so viel fremdem Geld in der Wohnung gemeinsam verbringen sollte… Am nächsten Morgen erledigte Raschke den Lichtbrücken-Kauf, dann fuhr er zu Dirk. Und nun dachten sie lange nach - das Geld einfach so behalten, geht nicht. Die Post informieren geht auch nicht - das bringt nur Ärger. Also bleibt eigentlich nur eines: Dirk zahlt das Geld auf seinem Konto ein und macht auf dem Einzahlungsbeleg einen entsprechenden Vermerk "gehört der Post" oder so. Die dort werden es ja irgendwann merken…
Sie fuhren zur Sparkasse von Dirk. Die Mitarbeiterin - eine junge Frau - kaute Kaugummi. Es entwickelte sich folgender Dialog: Tach. -Tach - Wat iss'n? - Will Jeld einzahlen. - Wie viel? - Janz viel. 90.000. - Und wo isset? - Hier. Dirk stellte die Plastiktüte vom Vorabend auf den Banktresen. Die Angestellte guckte in die Tüte, und der Kaugummi fiel ihr aus dem Mund, direkt auf die Kohle.
Es waren ausschließlich 10-, 20-, und 50-Mark-Scheine, die sie dann aus der Tüte nahmen. Und die beiden kamen sich vor wie die Olsenbande bei ihrem größten Coup.
Die nächsten Tage passierte gar nichts. Dann ging die Band auf Tour nach Bulgarien. Mit Geli war vereinbart, dass sie - falls die Post sich bei ihr meldet - von nichts weiß. Die sollen sich bitte an den Chef wenden, aber frühestens in vier Wochen, wenn er wieder im Lande ist…
Und die Post meldete sich. Geli wurde zwecks "Klärung eines Problems" aufs Amt bestellt. Dort teilte man ihr mit, dass ihr Mann in Berlin 90.000 Mark zu viel erhalten habe, und wenn sie diesen Betrag nicht sofort zurückzahlt, dann werde man Anzeige erstatten. Geli erwiderte, dass sie sich keiner Schuld bewusst sei, zeigte die Quittung über 10.000 Mark und ob ihr Mann mehr Geld erhalten habe wüsste sie nicht. Vielleicht hat er ja eine Freundin in Berlin… Und überhaupt ist es schließlich die Schuld der Post.
Wenige Tage später kam ein Brief der Post mit der Aufforderung, dass sich Herr Raschke unverzüglich nach seiner Rückkehr zu melden habe.
Was Herr Raschke auch tat. Und er redete erstmal Klartext von wegen versuchter Unterschlagung und Betrug. Und er stellte klar, dass er in diesem Ton und mit diesen Unterstellungen nicht mit sich reden lässt … und ging.
Es folgte ein sehr freundlicher Brief von der Post. Dirk hatte inzwischen das Geld auf das Bandkonto überwiesen und Raschke zahlte es selbstverständlich zurück.
Schuld an dem ganzen Vorfall hatte übrigens ein Lehrling, der ausgerechnet an diesem Tag im Fach telegrafische Überweisungen seine ersten praktischen Übungen absolvierte. Da kann es schon mal passieren, dass man eine Null zuviel tippt. Ich bin sicher, er hat in den folgende Wochen, ja Monaten, eine ganze Menge dazu gelernt...
Besuch in Bruderredaktionen
Die Redaktion FRÖSI hatte in fast jedem sozialistischen Land Europas eine sogenannte "Bruderredaktion". In Moskau war es der Verlag "Molodarja Gwarda", in Prag die "abc-Zeitung", in Warschau "Plowdiv" und in Budapest eine Redaktion, deren Namen ich leider vergessen habe. Auch nach Bulgarien, Rumänien und Jugoslawien gab es direkte redaktionelle Beziehungen.Einmal jährlich gab es zwischen den Redaktionen gegenseitige Besuche, die von verschiedenen Redakteuren wahrgenommen wurden.
Ich möchte heute von zwei Reisen erzählen, die ich aus verschiedenen Gründen nie vergessen werde, beginnend mit einem Besuch in Moskau.
In der Sowjetunion wurde die "Russischbeilage" redaktionell entwickelt und gedruckt, die einmal jährlich in FRÖSI für die Nutzung im Russischunterricht beilag.
Wir erhielten die Texte als Korrekturabzüge, ließen sie in Berlin übersetzen, beurteilten den Inhalt und die Schwierigkeit der Texte und reisten dann nach Moskau, um alles vor Ort zu besprechen. Diese Reisen lagen fest in Walter Stohrs Hand, der mich manchmal mitnahm.
Irgendwann war es wieder so weit. Wir hatten in der Reisestelle des Verlages unseren Termin eingereicht, dort wurden dann die Flüge gebucht, die Pässe vorbereitet und das sogenannte Reisegeld (was es ausschließlich für Reisen in die Sowjetunion gab) bereitgestellt. Bei der Einreise in die UdSSR durfte man pro Person nur 50 Rubel in bar mitnehmen, den restlichen Betrag erhielten wir in Reiseschecks, die wir dann vor Ort eintauschen mussten.
Am Abreisetag holten wir früh unsere Pässe und das Geld ab und der Fahrdienst brachte uns nach Berlin-Schönefeld. Walter hatte meine 50 Rubel mit eingesteckt, wir reisten ja zusammen … dachten wir.
Bei der Passkontrolle am Flughafen stellten die Grenzer fest, dass mein Pass in drei Tagen abläuft, ich also mit Sicherheit bei der Einreise echte Probleme kriegen würde. Da am frühen Abend noch eine Maschine nach Moskau flog, entschieden wir, dass Walter schon mal vorfliegt, weil wir dort von der Redaktion erwartet wurden, und ich dann nachkomme, wenn mein Pass in Ordnung ist. Ich rief im Verlag an und mir wurde versichert, dass sie den Pass ganz kurzfristig verlängern können. Gesagt - getan, Walter startete gen Moskau und ich fuhr per S-Bahn zurück…
Die Pass-Prozedur dauerte zwei Stunden, denn fuhr ich wieder nach Schönefeld und wartete auf den Abflug.
Als ich in Moskau gelandet war, wurde ich kontrolliert. "Wie viel Geld?" - "Kein Geld." - "Aha, der zweite ist da." - Walter Stohr saß, bewacht von einem Milizionär, vor der Zollkontrolle. Man hatte ihn nicht einreisen lassen, weil er zuviel Bargeld mit sich führte. Und als er angab, dass wir eigentlich zu zweit reisen wollten, sagten die Beamten: "Dann bleibst Du sitzen, bis der zweite kommt." Man hatte ihm auch nicht gestattet, Kontakt nach draußen aufzunehmen, wo die Kollegen des Verlages vergeblich auf uns warteten.
Die zweite Reise, von der ich erzählen möchte, führte mich nach Budapest. Auch hier wurden die Passformalitäten in der Reisestelle erledigt, allerdings gab es kein Bargeld und auch keine Reiseschecks. Ich reiste also völlig mittellos. Zwischen den Redaktionen war vereinbart, dass vor Ort dem jeweiligen Besucher ein Honorar angewiesen wird, dass er dann sofort ausgezahlt bekommt.
Jeder DDR-Bürger hatte nur die Möglichkeit, ich glaube für maximal 30 Tage im Jahr, 20 Mark/Tag in eine Fremdwährung umzutauschen. Für meine Dienstreise hätte ich das privat tun können, aber da wir jährlich ganz in Familie zum Camping in die CSSR fuhren, hätte ich damit unser ohnehin knappes Familienbudget erheblich angegriffen.
Also reiste ich ohne einen einzigen Forint ins Freundesland.
Man empfing mich sehr freundlich und stellte mir eine bildhübsche Dolmetscherin an die Seite, die mich während meines Aufenthaltes begleitete. Bei unserem ersten Spaziergang durch Budapest zeigte ich ihr einige Sachen, die ich gern meinen Kindern und meiner Frau mitbringen würde. Sie sagte: "Na, kauf sie doch." Ich erklärte ihr, dass ich kein Geld habe. Das konnte sie nicht fassen. "Warum hast Du nichts umgetauscht?" Ich erklärte ihr den Sachverhalt und sie antwortet: "Das ist ja unfassbar. Ich borge Dir das Geld, und Du gibst es mir wieder, wenn Du das Honorar hast." Das lehnte ich natürlich ab, schließlich wusste ich nicht, ob ich überhaupt was bekomme und wenn ja, wie viel.
Tja. Auch das waren Unwägbarkeiten bei den ansonsten sehr beliebten Besuchen in den "Bruderredaktionen".
Am nächsten Tag wurde mir übrigens eine doch recht erquickliche Menge an Forint in die Hand gedrückt und die nette Dolmetscherin half mir, es zweckgebunden für meine Familie auszugeben.
Die Osterhasenrallye
Heinz Klensky also war in seiner Freizeit aktiver (und sehr guter) Tischtennisspieler und Vorstandsmitglied in einem Motorsportklub. Bevor ich ihn kennen lernte, wusste ich gar nicht, dass diese Form des Motorsports in der DDR so viele Anhänger hatte und von Frühjahr bis Herbst (spezielle Veranstaltungen auch im Winter) fast an jedem Wochenende Rallyefahrer und -teams wettkampfmäßig unterwegs waren.
Nachdem ich Anfang der 80er Jahre gemeinsam mit meinem damaligen Freund Lutz Daase die FRÖSI-Disko ins Leben gerufen hatte, trat Heinz Klensky an mich heran und fragte, ob wir nicht mit unseren Familien und natürlich vor allem der Disko Lust hätten, an seiner Osterhasenrallye teilzunehmen. Wir könnten die Tour in der Wertung mitfahren, würden kostenlos untergebracht und verpflegt, müssten allerdings die Siegerehrung musikalisch begleiten.
Osterhasenrallye … Wertungsfahrt … Siegerehrung … was ist das? - wollte ich wissen und Heinz Klensky schlug mir vor, einfach mitzukommen … wir würden es nicht bereuen. Gesagt, getan: am Gründonnerstag nach Feierabend luden wir Disko-Technik und Familien in unsere Autos und fuhren gen Norden nach Binz auf Rügen. In einer Jugendherberge, die für alle komplett angemietet war (immerhin rund 150 Erwachsene und Kinder mit ca. 45 Pkws) nahmen wir Quartier, räumten unsere Disko-Technik in den Speisesaal und harrten der Dinge, die da kommen würden.
Donnerstagabend war Teambesprechung mit allen Teilnehmern. Heinz Klensky erklärte die Aufgaben für den nächsten Tag. Gefahren wird in zwei Wertungen. Die erste Wertung beinhaltet eine Strecke von ca. 90 Kilometern nach vorgegebener Streckenführung. Unterwegs sind Aufgaben zu lösen und die Ergebnisse auf einem Wertungszettel einzutragen. Es gibt keine Zeitvorgabe, nur die Mindestzeit von 240 Minuten ist einzuhalten. Jede Familie bildet ein Team, Erwachsene und Kinder müssen verschiedene Aufgaben lösen.
Die zweite Wertung wird nach Pfeilen gefahren. Pfeil nach oben heißt geradeaus, Pfeil nach links heißt links abbiegen und rechts natürlich nach rechts. Querstraßen (lt. Straßenverkehrsordnung) vor dem nächsten Richtungswechsel sind eingezeichnet. Gefahren wird nach StVO, jeder Fahrer ist für die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung selbst verantwortlich. Strafzettel werden vom Veranstalter nicht übernommen… Alles klar. Karfreitag gingen meine Familie und ich an unseren ersten Rallye-Start. Uschi, meine Frau, bekam den Erwachsenen-Aufgabenzettel und die Tourbeschreibung und unsere Kinder Heike und Mathias erhielten je einen Lösungszettel für die Kleinen. Alle Pkws hatten seitlich und auf der Motorhaube eine Startnummer aufgeklebt … ein nicht ganz angemessene Erscheinungsbild für einen hohen kirchlichen Feiertag. Egal, wir waren und sind Atheisten.
Die Tourbeschreibung las sich ungefähr so: Fahren Sie bis zum Ortsausgang Binz, von dort 8,2 km Richtung Bergen, biegen Sie dann rechts ab, passieren Sie die Ortseinfahrt. 1. Aufgabe: Welches ist der letzte Buchstabe auf dem Ortseingangsschild? Klar - das ist ein "n". Fahren Sie bis zum Marktplatz, dann biegen Sie zweimal links ab, dann einmal rechts, einmal links und an der dritten Kreuzung zweimal rechts. Nach 500 Metern halten Sie an. Wir standen an einem Friedhof. 2. Aufgabe: Hier ruht Martha Heinze. Wie heißt ihr Mann mit dem zweiten Vornamen). Alle raus aus dem Auto, rauf auf den Friedhof, da rannten schon zwanzig andere Rallye-Teilnehmer rum und alle suchten das Grab von Martha Heinze. Soviel Besuch hatten die beiden Verstorbenen wohl sonst im ganzen Jahr nicht. Herr Heinze hieß übrigens Diether-Rudolf, also war "Rudolph" die zweite Lösung. Und munter ging es weiter. Wir passierten einen Kontrollpunkt, wo es einen Stempel gab, das Problem war nur, dass die einen Teilnehmer von links angefahren kamen und die anderen von rechts… In allen Autos wurde hektisch diskutiert und gestikuliert, geflucht und gestritten und geschworen, dass man im nächsten Jahr an dieser schwachsinnigen Tour nicht mehr teilnehmen wird … so wie schon im vergangenen Jahr. Andere Aufgaben waren z.B.: Halten Sie am Spielplatz, wenn Sie auf das Klettergerüst steigen, wie viele Pferdeköpfe sehen Sie am Giebel des roten Hauses? Falsche Antwort: zwei. Richtige Antwort: keine - es sind zwei Ziegenköpfe… Mein Gott … was hatte sich der Klensky da wieder ausgedacht…
Kurz und gut - wir hatten uns zigmal verfahren, statt der 90 Kilometer 180 zurückgelegt und die Höchstzeit knapp eingehalten. Aber es kam noch schlimmer.
Für die zweite Tagesaufgabe gab es Zettel mit ca. 40 Pfeilen … wie schon gesagt: geradeaus, rechts und links und die Anzahl der Querstraßen und Einmündungen lt. StVO, die vor Inkrafttreten des nächsten Pfeils zu passieren waren. Jetzt war das Chaos perfekt. Unsere Autos legten Binz verkehrstechnisch praktisch lahm. Und alle Autos nahmen nach kurzer Zeit eine andere Richtung. Einer zählte die gesperrte Einbahnstraße mit, einer nicht, ist ein Feldweg eine Einmündung lt. StVO oder zählt die nicht, wie verhält sich das mit einer Sackgasse oder einer Spielstraße…? Wir fuhren z.B. "aus Versehen" auf einen großen Bauernhof, wo bereits drei andere Autos mit Berliner Kennzeichen zwischen zig Landmaschinen wendeten und ein kopfschüttelnder Bauer stand fassungslos mitten im Verkehrschaos auf seinem Grundstück…
Wir passierten zigmal die Stempelstelle mitten in Binz und mussten uns jedes Mal einen geben lassen.
Aber auch diese grausamen Stunden waren irgendwann vorbei. In unserer Unterkunft wurde gestritten und geflucht, die Veranstalter beschimpft und erst mal das eine oder andere Getränk zur Brust genommen. Am Abend veröffentlichte das Präsidium die Ergebnisse auf einer Liste. Unfassbar aber wahr: wir hatten den dritten Platz belegt. Waren wir so gut oder sind die anderen noch chaotischer gefahren? Fragen über Fragen … und alle wurden beantwortet. Zum Beispiel die, warum der letzte Buchstabe auf dem Ortseingangsschild von Bergen kein "n" ist sondern ein "K"? Ganz einfach … weil unten auf dem Rand noch eine Druckgenehmigungsnummer stand, und die lautete EFBK 03/06/83 … oder so ähnlich. Man hätte eben aussteigen müssen…
Ich muss sagen: Die Osterhasenrallye war durchaus eine Veranstaltung in FRÖSI-Qualität. Am Ostersamstag war dann für die Familien-Teams ein kultureller Teil organisiert. Mit einem Förster ging es unter sachkundiger Führung durch den nahe gelegenen Wald und der Spaziergang endete mit einer kleinen Grillparty am Waldesrand.
Am Abend folgte die Siegerehrung mit Unterstützung der FRÖSI-Disko, aufgelockert durch Tanzrunden, denn jedes Team erhielt einen Preis. Das funktionierte ganz einfach. Das "Startgeld" für jedes Team war ein verpacktes Ostergeschenk. Diese wurden am Anreisetag eingesammelt und zur Siegerehrung aufgebaut. Platz 1 hatte die freie Auswahl, der Letzte musste nehmen was übrig blieb. Und so konnte es durchaus passieren, dass der Letztplatzierte das wertvollste Geschenk mit nach Hause nehmen konnte. Die Geschenke mussten übrigens öffentlich und sofort nach Erhalt ausgepackt werden… Man kann sich nicht vorstellen, wie viel Spaß diese Siegerehrung machte. Und gefeiert und getanzt wurde dann bis zum frühen Morgen.
Am Sonntag war für den Vormittag das Ostereiersuchen für die Kinder organisiert und anschließend ging es wieder Richtung Heimat.
Die Osterhasenrallye wurde noch bis 1992 organisiert, dann war Schluss, weil es keine preiswerten Unterkünfte mehr gab und auch der eine oder andere immer mehr private oder berufliche Probleme hatte…
Das Jahr 1989
Mein erstes einschneidendes Erlebnis im Wendejahr hatte ich im Februar 89. Die Gruppe Karussell, mit der wir im Sommer auf Tour gehen wollten, hatte Annette Schlegel und mich zu einem Konzert nach Freiberg eingeladen. Die Veranstaltung fand im Rahmen einer Jugendstunde in Vorbereitung auf die Jugendweihe statt. Rund 250 Jugendliche, 13 oder 14 Jahre alt, hatten im Saal Platz genommen. Wir wollten einen Beitrag in FRÖSI darüber schreiben. Also fragten wir die Kids, wie sie Karussell und deren Musik so finden. Wir mussten feststellen, dass kaum jemand von ihnen auch nur einen einzigen Titel der Band kannten…Das Konzert begann. Dirk Michaelis, der Sänger, eröffnete die Veranstaltung indem er erklärte, dass sie heute erstmals alle Titel ihrer neuen Platte "Solche wie Du…" öffentlich aufführen werden. Nach mäßigem Applaus begann das Konzert. Und was wir jetzt zu hören bekamen, ließ meinen Atem stocken. Es ging Schlag auf Schlag: Eigentlich geht's uns gut, Die Männer ganz oben, Am Ende der Schlacht, Wintermärchen, Schweigen spricht, Schattenkreuze, Kinder der Phantasie… Das Publikum tobte, keiner saß mehr (außer Annette und mir), die Stimmung war sensationell. Ein Text war kritischer als der andere - es waren tolle Texte und eine tolle Musik. Aber das musste das Ende unserer Zusammenarbeit sein. Das konnte nicht gut gehen können!
Nach dem Konzert gingen wir in die Garderobe. Ich sagte der Band, dass uns Musik und Texte unglaublich gut gefallen haben, aber das wird wohl das Ende unserer Zusammenarbeit sein. Das kann der Staat nicht durchgehen lassen. Aber Wolf Raschke, der Chef der Band, meinte: "Die Zeiten werden sich ändern. Und wir Künstler müssen uns zu Wort melden, wir müssen helfen, damit es anders wird, anders und vor allem besser."
Es kam der Sommer 89 und unsere Tour mit der Band fing an. Das FRÖSI-Talente-KARUSSELL, so hieß die Veranstaltungsreihe, begann im Norden und führte durch insgesamt 10 Zentrale Pionierferienlager quer durch die Republik. Finanziert wurde sie von der Pionierorganisation "Ernst Thälmann". Sie war eine Mischung aus Konzert, dem Auftritt junger Talente aus dem jeweiligen Ferienlager und Disko-Spielen sowie einem Auftritt von Horst Alisch als Schnellzeichner.
Schon während der ersten Veranstaltung machte Dirk Michaelis ein paar Bemerkungen zum damals erkrankten Generalsekretär Erich Honecker. Na, das konnte ja noch was werden, und dann noch diese Musik. Mir war regelrecht schlecht. Und richtig, am nächsten Morgen wurde ich ans Telefon geholt. Wilfried Poßner, der Vorsitzende der Pionierorganisation, wünschte mich zu sprechen. Aber der wollte nur wissen, wie es denn so gelaufen ist… Dann wünschte er uns viel Spaß und tolle Konzerte.
Nach der Tour fuhr ich mit meiner Familie in Urlaub, ausgerechnet nach Ungarn! Ich hatte das erste Mal in 15 Jahren eine Auslandsreise bekommen. Wir wohnten in einem Hotel am Balaton und hörten täglich im Radio, wo man stundenweise ein deutschsprachiges Programm sendete, wie die Situation der Flüchtlinge in den Ferienlagern ist und schließlich, dass die ungarischen Grenztruppen den Stacheldraht durchgeschnitten hatten.
Unser Urlaub war um, wir reisten zurück. Unsere Fahrbahn war leer, aber wir hatten jede Menge Gegenverkehr. Und in der Redaktion FRÖSI taten einige erstaunt, als ich wieder zur Arbeit kam.
Jeden Tag führte ich mit Walter Stohr stundenlange Diskussionen, wie das denn bloß weitergehen könnte. Unser Heft hatte drei Monate Vorlauf. Das heißt, von der Abgabe zum Druck bis zur Auslieferung vergingen mindestens 12 Wochen. Wir konnten also nicht auf aktuelle Geschehnisse eingehen.
Im September begann für mich ein dreijähriges Fernstudium an der Bezirksparteischule. Auch das noch. Ich hatte monatelang überlegt, wie ich da drumherum komme, aber mir war nichts eingefallen. Doch nach rund vier Wochen war alles vorbei, die Leitung der Schule brach das Studium ab und wollte es fortführen, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder übersichtlicher waren. Glück gehabt!
Im Verlag überschlugen sich die Parteiversammlungen und ich begriff relativ schnell, dass die Hardliner unter den Chefredakteuren und anderen Genossen wirklich nicht begriffen, was sich da abzeichnete.
Am 9. November war ich mit meiner Frau zu einem Konzert im Palast der Republik. Neben KARUSSELL traten die Phudys auf, IC, Cilly und Citty, Frank Schöbel und all die anderen DDR-Stars. Sie alle richteten bewegende Appelle ans Publikum: "Bleibt hier! Nur wer nicht weg geht, kann in unserem Lande etwas verändern."
Nach dem Konzert war ich mit Dirk Michaelis am Bühneneingang verabredet. Aber er kam und kam nicht. Und als er dann endlich doch kam, rief er nur: "Die Mauer ist auf!" Wir fuhren nach Hause…
Im Fernseher verfolgten wir dann die unglaublichen Bilder vom Grenzübergang Bornholmer Straße und anderswo.
Im Verlag Junge Welt kamen wir vor lauter Parteiversammlungen kaum noch zum Arbeiten. Und dann kam eigentlich mein einschneidenstes Erlebnis.
Die Mitglieder der SED hatten sich mal wieder im Speisesaal des Verlages versammelt. Es gab ein paar einleitende Worte zur Situation aus der Sicht unserer Parteiorganisation im Verlag Junge Welt, dann folgte die Diskussion. Als erster Redner meldet sich Pit Schulz, Chefredakteur von "technikus" zu Wort, und der sagte sinngemäß folgendes: "Ich kann Eure Aufregung überhaupt nicht verstehen. Wir werden jetzt mit unseren Presseerzeugnissen den Westen erobern. Wir werden denen da drüben mal zeigen, wie Qualitätszeitschriften aussehen." Oh Gott, das sagte ausgerechnet Pit Schulz mit seinen manchmal schon in der DDR peinlichen Bastelanleitungen für technische Spielereien. Jetzt war mir klar, dass unser Verlag bald keine Chance mehr haben würde.
Es folgte die Vertreibung des Verlagsdirektors Manfred Rucht. Ja, er war ein bisschen selbstgefällig und obrigkeitshörig, besonders gegenüber Egon Krenz, aber dass ausgerechnet diejenigen, die ihm noch vor wenigen Tagen bis zur Hüfte in den Arsch gekrochen waren nun zum Teufel wünschten, das konnte ich nicht verstehen. Nachdem Rucht sich zwei Stunden lang hatte beschimpfen lassen, nahm er seine Aktentasche und ging nach Hause. Und er kam auch nie wieder. Ich habe das sehr gut nachvollziehen können…
Auch bei FRÖSI überschlug sich alles. Jetzt spielten auch wir Revolution. Ich schrieb einen Beitrag über Rio Reiser, der hatte die Überschrift "König von Deutschland" in schwarz-rot-gold. Und er wurde gedruckt. Von allen möglichen druckfertigen Zeichnungen wurden die Pionierhalstücher wegretuschiert … es war der verzweifelte Versuch, redaktionell zu erahnen, was in drei Monaten, wenn das Heft erscheint, sein würde. Und das, wo sich die Situation dreimal täglich änderte…
Gut. Im Dezember 89 kam ich zu der Erkenntnis: es geht zu Ende. Die Demonstranten in Leipzig und anderswo riefen nicht mehr: "Wir sind das Volk" sondern "Wir sind ein Volk". Das machte mich traurig, denn ich hatte bis dahin geglaubt, dass wir die DDR reformieren könnten. Und so fasste ich im Dezember 1989 den Entschluss, meine geliebte FRÖSI schweren Herzens zu verlassen. Ich kündigte zum 31. März 1990.
Mein Start in die Marktwirtschaft
Bei Lutz Daase, meinem Disko-Kollegen, und mir reifte während dieser Fahrt jedenfalls die Idee, etwas Eigenes zu probieren. Tage- und nächtelang saßen wir zusammen und kamen dann schließlich zu dem Entschluss: Wir suchen uns ein paar Verbündete, melden eine GmbH an und gründen einen Verlag.
Ich sprach mit den Leuten, von denen ich dachte, dass wir sie dafür brauchen werden. Das war zum einen der Vertriebsleiter im Verlag Junge Welt, Werner Starke, der beste Kontakte zum Pressevertrieb der Deutschen Post hatte, zum anderen Holger Järnecke, der im Bereich Produktion des Verlages arbeitete und über sehr gute Kontakte zu Druckereien hatte. Außerdem redeten wir mit Horst Alisch und mit Jürgen Schumacher, dem freiberuflichen Gestalter von FRÖSI. Beide verfügten über Erfahrungen aus der Selbständigkeit und hatten die dicksten Konten von uns allen. Tja, und so trafen wir uns am 24. März 1990 im Amtsgericht Berlin-Mitte und meldeten eine der ersten GmbHs in der DDR an, die HALB & HALB Verlagsgesellschaft mbH. Jeder von uns hatte dieselben Gesellschafteranteile, meine hatte ich mir von Jürgen Schumacher geborgt.
Bereits im Vorfeld hatte ich mit Manfred Kutschick, dem Produktionsdirektor des GGV in Dresden (unserer FRÖSI-Druckerei) verhandelt, ob er für uns ein Rätselheft drucken würde, das KNOBEL-EI. Ich wollte das Heft so gestalten, wie ich es bei FRÖSI gelernt hatte. Da sollten Rätsel und Comics drin sein, witzige Texte, Leserpost, Spiele und Preisausschreiben - so eine Art Mini-FRÖSI, aber als Familienmagazin.
Ich sagte ihm auch, dass wir kein Geld haben, aber wenn die Post die Rechnung für die Hefte bezahlt, dann sicherte ich ihm zu, dass wir sofort den Rechnungsbetrag begleichen. Er sagte o.k., wenn ihr mir den Vertrag mit dem Postzeitungsvertrieb vorlegt, dann machen wir das. Also fuhren Werner Starkte und Lutz Daase (die späteren Geschäftsführer) nach Leipzig zum Postzeitungsvertrieb, stellten sich als Geschäftsführer eines neuen Verlages aus Berlin vor, boten das Rätselheft KNOBEL-EI an und erhielten eine Bestellung über 500.000 Hefte monatlich. Das fing ja richtig gut an…
Am nächsten Tag fuhr ich nach Dresden zu Manfred Kutschick, zeigte ihm den Vertrag und ließ die fertigen Druckvorlagen gleich da. Für jede Reise nahm ich einen Tag Urlaub, jedes Telefonat führte ich von zu Hause (wir hatten seit zwei Monaten einen eigenen privaten Telefonanschluss) - ich wollte mir später nicht vorwerfen lassen, auf Kosten des Verlages Junge Welt den eigenen Verlag gegründet zu haben.
In einem Stahlcontainer der Deutschen Bank in Prenzlauer Berg eröffneten wir unser Geschäftskonto und mussten damals eine Ostmark einzahlen.
Wir hatten kein Büro, wir arbeiteten im Hobby-Raum von Lutz Daase. Der hatte über seine Mutter Westgeld aufgetrieben und dafür einen Computer und Drucker angeschafft, damit wir unsere Texte selbst schreiben und gestalten konnten. Zu Ostern 1990 hatten wir die Andrucke der ersten Ausgabe unseres Heftes, das war einfach genial. Kurz darauf trafen auf dem Güterbahnhof am Ostbahnhof unsere Hefte ein, die von dort dann verteilt wurden. Als wir diese Menge an Paletten sahen, blieb uns fast das Herz stehen. Wir schrieben unsere erste Rechnung an die Post und wenige Tage später kam Lutz Daase mit dem Kontoauszug von der Deutschen Bank: Wir hatten ein Guthaben von rund 750.000 Ostmark. Wir bezahlten die Druckereirechnung, die Honorare und hatten einen riesigen Berg Geld übrig.
Wir hatten Null Kosten, kein Büro, keine Firmenautos, nichts. Also schlugen wir mit dem Gehalt so richtig zu. Jeder von uns erhielt 2.500 Ostmark netto.
Heft zwei war bereits wieder im Druck, Heft drei in Vorbereitung - mein Gott, wohin mit all dem Geld? Bereits mit der zweiten Rechnung überschritten wir die Million auf dem Geschäftskonto, sollte die Marktwirtschaft so einfach sein…?
Nein. Im Gegenteil. Nach der Währungsunion und nach der Wiedervereinigung nahm man uns das Geld ganz, ganz schnell wieder weg, aber das wären dann schon wieder völlig andere Geschichten, und die möchte ich Euch und Ihnen ersparen…
Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, diese Serie zu schreiben. Und sollte es den Gästen dieser Seite vielleicht den einen oder anderen neuen Einblick in die Welt der Kinder- und Jugendpresse der DDR gegeben haben, dann würde ich mich sehr darüber freuen.
Vielleicht hat jemand bemerkt, dass ich immer von der DDR gesprochen habe, nicht von der ehemaligen DDR. Das habe ich bewusst getan, denn es spricht ja auch niemand über das ehemalige Römische Reich oder das ehemalige Dritte Reich. Alles hat eben seine Zeit - und die hatte auch das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, in dem ich gern gelebt und gearbeitet habe, und das ich schließlich zum Besseren verändern wollte. Aber man hat mich nicht gelassen…
Vielen Dank für Euer und Ihr Interesse!
Frank Frenzel (1951-2014) war von 1974 bis 1990 Redakteur und Autor bei FRÖSI. Nach der Wende arbeitete er als freiberuflicher Mediengestalter. Von 2005 bis 2012 schrieb er regelmäßig Kolumnen für diese Webseite über seine Zeit bei FRÖSI, nach der Wende, und begleitend zum FRÖSI-Index Anekdoten zu einzelnen Heftbeiträgen. Zwischen 2009 und 2011 betrieb er außerdem den satirischen Online-Blog "Emmy und Walther erklären die Welt".