Interview mit Reiner Schwalme
Biographisches
Schwalme: Ich bin Umsiedlerkind aus Schlesien, gelandet in Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Dort bin ich zur Schule gegangen und habe das Abitur gemacht. Ich war in naturwissenschaftlichen Fächern kein besonders guter Schüler, aber Zeichnen - das war schon von Kindesbeinen an meine Leidenschaft. Ich bewarb mich an der Hochschule für Bildende und Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee, bestand dort erfolgreich die Aufnahmeprüfung und studierte ein Jahr, bin dann allerdings exmatrikuliert worden. Die Begründung war "künstlerische Phantasielosigkeit", die Gründe kenne ich nicht. Dann absolviert ich die Schule für Werbung und Gestaltung in der Nalepastraße [in Berlin], und kann mich jetzt Diplom-Designer nennen, da die Studienabschlüsse nach der Wende auch in der Bundesrepublik anerkannt wurden.
Danach wollte ich gern in Berlin bleiben, ich hatte mich in die Stadt verliebt, und landete bei der Zeitung. Das war zunächst nicht meine große Liebe...
Bei der Berliner Zeitung?
Schwalme: Nein, ich begann bei der Tribüne, [der Zeitschrift des Gewerkschaftsbundes]. Die Alternativen waren, bei der DEWAG [Deutsche Werbeagentur] oder im Studio für Synchronisation bei der DEFA in Johannisthal zu arbeiten, und Vorspänne für Filme zu entwickeln, speziell Schrift, was auch nicht gerade meine Leidenschaft war.
Ich war also bei der Zeitung gelandet, habe dort aber schnell wieder abspringen wollen, um freiberuflich zu arbeiten. Das hat man mir allerdings sehr schwer gemacht, so dass ich schließlich doch sieben Jahre bei der Tribüne verbrachte. Während dieser Zeit habe ich hauptsächlich Vignetten und Illustrationen angefertigt, Diagramme und vor allem auch Schrift, deren Gestaltung von Hand damals noch üblich war. Nebenbei habe ich bereits fleißig für viele Redaktionen gearbeitet. Wie es sich so ergab, hatte man gewisse Connections durch Kollegen, die ebenfalls die Schule beendet hatten. So habe ich für den Berliner Verlag für die NBI und die FF Dabei gearbeitet, für den Verlag Junge Welt für sämtliche Kinderzeitungen eigentlich, practic, Trommel, Technikus, ABC-Zeitung, Bummi - für die alle.
Und waren das hauptsächlich Karikaturen?
Schwalme: Das waren nicht nur Karikaturen, sondern, sogar in der Mehrzahl, Illustrationen. Aber bei der Trommel begann es mit Aufträgen, bei denen es auch etwas lustiger zugehen durfte. Bei der Tribüne war zwischenzeitlich der Karikaturist krank geworden, und ich hatte auch schon mal "Karikaturen" gezeichnet, so weit man damals von Karikaturen sprechen konnte, was mit der jeweiligen Thematik und der Pressepolitik zusammen hing.
1966 bin ich dann schließlich doch freiberuflich geworden, und arbeitete in den folgenden Jahren hauptsächlich aus Illustrator für viele Verlage. 1985 kam der Eulenspiegel auf mich zu, und von da an hat mich auch das Karikaturen zeichnen stärker interessiert, das ich vorher gar nicht inhaltlich so richtig ernst genommen hatte, weil es zu DDR-Zeiten eigentlich auch nicht ernst zu nehmen war. Beim Eulenspiegel schon, dort konnte man seinem Affen ein bisschen mehr Zucker geben. Das hat Spaß gemacht, und ich begriff, dass man dort Freiräume hatte und nutzen konnte. Ich sah das am Beispiel von verschiedenen Kollegen, zum Beispiel eines meiner Vorbilder, nicht zeichnerisch, sondern in der Art und Weise, satirisch zu arbeiten, Heinz Behling. Von da an gab es eigentlich keine Eulenspiegel-Ausgabe, in der ich nicht vertreten war. Ich bin sozusagen "hintenrum" Karikaturist geworden.
Ja, und dann kam '89. Ich dachte eigentlich, ich würde Taxifahrer machen müssen. In der Wendezeit zeichnete ich so fleißig wie zu kaum einer anderen Zeit. Es hatte sich ein mächtiges Reservoir an Ideen angestaut, und alle Themen waren jetzt offen für den Karikaturisten. Ich bekam sehr schnell Kontakt gehabt in die alten Bundesländer, arbeitete eine Zeit lang für die Gewerkschaftszeitschrift "Metall" gearbeitet, für das Stadtmagazin tip in Berlin, und so ging das dann sukzessive weiter.
Waren Sie zu DDR-Zeiten in der Sektion Pressezeichner des Journalistenverbandes?
Schwalme: Nein, im Verband der Bildenden Künstler, was Bedingung war, wenn man freiberuflich arbeiten wollte Ich bin dort nicht als Karikaturist eingetreten, sondern als Designer, Gebrauchsgrafiker sagte man damals, und war in der Sektion Gebrauchsgrafk. Dort fühlte ich mich aber nicht behütet, weil diese Sektion sehr groß war. Es gab unglaublich viele Kollegen darin, was es schwer machte, Fuß zu fassen. Und weil meine Arbeiten mehr in Richtung Karikatur gingen, bin ich dann in die Sektion Karikaturisten und Pressezeichner des Verbandes der Bildenden Künstler gegangen.
Es gab einen qualitativen Unterschied zwischen dem Journalistenverband und dem Verband Bildender Künstler. Das heißt, die Zeichnerkollegen, die im Journalistenverband waren, hatten alle das Ziel, in den VBK aufgenommen zu werden. Und der VBK arbeitete als Aufnahmeprinzip nach strengen Qualitätskriterien.
Gab es da Reibereien unter den Kollegen, weil der eine drin war und der andere nicht?
Schwalme: Es gab eigentlich alles, was Sie sich denken können, den fairen Wettbewerb ebenso wie die Intrigen.
Sind Sie mal Opfer solcher Intrigen gewesen?
Schwalme: Die ganze DDR-Zeit lang habe ich mich als Opfer gefühlt. Aber ich meine das nicht im politischen Sinne, sondern beruflich. Es gab so eine Gruppe von "Führungskräften", die natürlich nicht tatsächlich welche waren, die nicht so schnell zuließen auch, dass jemand ordentlich Fuß fasste und erfolgreich war. Das zeigte sich vor allem bei Auslandsreisen und bei Teilnahmen an Ausstellungen im Ausland, die häufig dieser Gruppe vorbehalten waren, ebenso wie die Preise bei nationalen Wettbewerben.
Ich habe zwar mehrere Preise bekommen auf dem Gebiet der Gebrauchsgrafik, für ausgezeichnete Plakate, für Karikaturen jedoch nicht. Nach der Wende bin ich zweimal hintereinander mit dem Deutschen Preis für Karikatur ausgezeichnet worden, in Dresden habe ich den dritten Platz belegt beim Deutschen Karikaturwettbewerb, ich habe bei der Gothaer Versicherung den goldenen, silbernen und bronzenen Gothaer eingenommen und habe in Hannover beim Wettbewerb zur Expo gemeinsam mit weiteren acht Kollegen den ersten Preis gewonnen - es kann nicht an mir gelegen haben.
Aber ich bin deswegen nicht bitter, denn ich hatte auch noch viel zu lernen in dieser Zeit. Wie schon gesagt, war ich spät zur Karikatur gekommen, hatte noch nicht "ausgelernt" und auch viel Mist gemacht.
Man hätte unter solchen Umständen auch verbittert werden können. Ihrer Kreativität hat das ja scheinbar keinen Abbruch getan?
Schwalme: Naja, ich bin in einem erlaubten Maße natürlich auch eitel. Aber das geht nicht so weit, dass ich krank werde, wenn meine Eitelkeit nicht befriedigt wird, weil ich keinen Applaus bekomme.
Was sind gegenwärtig Ihre Haupttätigkeitsfelder?
Schwalme: Ich zeichne die tägliche politische Karikatur in der Sächsischen Zeitung und in der Märkischen Allgemeinen. Das ist ein ganz schöner Rucksack. Zur Zeit vertrete ich außerdem, wie bereits im vergangenen Jahr, den Kollegen der Berliner Zeitung, der Urlaub macht.
Die tägliche politische Karikatur ist eigentlich meine Hauptarbeit. Ansonsten geht es aus alter Verbundenheit weiter im Eulenspiegel. Ich habe allerdings, weil man ja auch Geld verdienen muss, allerlei Aufträge angenommen für die Industrie und andere Organisationen wie Versicherungen. Dort zeichne ich meist für deren Zeitschriften, hauptsächlich Illustrationen, häufig aber auch Karikaturen.
Erscheint jeweils die selbe tägliche Karikatur in verschiedenen Zeitungen?
Schwalme: Nein. Die Berliner Zeitung zum Beispiel legt großen Wert darauf, exklusiv bedient zu werden, so dass ich derzeit zum selben Thema am Tag zwei Karikaturen zeichne, und beide müssen gut sein, weil sich die Redaktionen gegenseitig sehr eifersüchtig bewachen. Die Märkische Allgemeine allerdings druckt auch gerne nach, was ich für die Sächsische Zeitung mache, weil die sich nicht gegenseitig behelligen.
Kürzlich war ihre Karikatur mit dem Kanzler, der die Wachstumskurve herunter rutscht, auf der Titelseite der SZ. Macht das einen Unterschied, und kann man vom Karikaturen zeichnen leben?
Schwalme: Die Titelseite hat mich selbst auch überrascht. Mit der Sächsischen Zeitung habe ich einen Vertrag, das macht also keinen Unterschied, denn ich beziehe also ein monatliches Pauschalhonorar. Bei allen anderen gibt es das lächerliche Sklavenhonorar des Nachdrucks. Aber ich brauche eben nicht Taxifahren. Es gibt wenige Kollegen, die davon leben können, viele müssen einen Beruf ausüben und zeichnen nebenbei. Aber ich habe das Glück, dass es noch geht.
Meiner Ansicht nach hat das schon etwas mit Qualität zu tun.
Schwalme: Ja, aber auch mit Glück. Noch nie haben Beziehungen so eine große Rolle gespielt wie heute, es ist schlimmer als zu DDR-Zeiten. Man bekommt zum Beispiel überhaupt keinen Fuß in irgend welche andern Blätter, die von Zeichnern aus den alten Ländern belegt sind. Und ich möchte mich auch nicht verschleudern und an 10 oder 20 Zeitungen faxen.